Übersicht:
- Der Fall vor Gericht
- LAG Sachsen: Fristlose Kündigung eines schwerbehinderten Fleischers wegen Fehltag und Dokumentationsfehlern unwirksam
- Ausgangssituation: Langjähriges Arbeitsverhältnis mit Schwerbehinderung und Vorwarnungen
- Streitpunkte: Fehlende Temperatur-Dokumentation und unentschuldigter Fehltag als Kündigungsgründe
- Arbeitgeberseitige Schritte zur Kündigung und die Entscheidung des Arbeitsgerichts
- Entscheidung des Landesarbeitsgerichts: Berufung der Arbeitgeberin erfolglos
- Begründung des Gerichts: Kein wichtiger Grund für fristlose Kündigung nach § 626 BGB
- Gesamtbewertung des Gerichts: Kündigungen unverhältnismäßig und unwirksam
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Unter welchen Umständen kann ein einmaliges unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz eine Kündigung rechtfertigen?
- Welche Rolle spielt eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bei einer Kündigung?
- Was bedeutet „beharrliche Arbeitsverweigerung“ im Sinne des Kündigungsrechts?
- Welche Bedeutung haben Abmahnungen im Zusammenhang mit einer Kündigung?
- Was ist bei der Dokumentation von Arbeitsleistungen (z.B. Temperaturkontrollen) rechtlich zu beachten?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 4 Sa 58/20 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
- Datum: 18.03.2022
- Aktenzeichen: 4 Sa 58/20
- Verfahrensart: Urteil
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein langjährig beschäftigter, schwerbehinderter Fleischer.
- Beklagte: Eine Arbeitgeberin, die Warenhäuser betreibt.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein seit 2007 beschäftigter, schwerbehinderter Arbeitnehmer wurde nach mehreren Vorfällen, insbesondere unentschuldigtem Fehlen und angeblicher Verletzung von Dokumentationspflichten bei Temperaturkontrollen, außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage gegen diese Kündigungen.
- Kern des Rechtsstreits: Zentral war die Frage, ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Pflichtverletzungen, namentlich unentschuldigtes Fehlen und fehlerhafte Dokumentation von Temperaturkontrollen, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung darstellten. Dabei waren auch die Umstände der Vorfälle sowie das Gewicht früherer Abmahnungen relevant.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Sächsische Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Damit wurde die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt, dass sowohl die außerordentliche Kündigung vom 07.06.2019 als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 01.07.2019 unwirksam waren.
- Begründung: Das Gericht sah keinen wichtigen Grund für eine Kündigung. Das unentschuldigte Fehlen war keine „Beharrliche Arbeitsverweigerung„, da es keine einschlägige Abmahnung gab und das Verhalten des Arbeitnehmers nicht auf eine nachdrückliche Weigerung hindeutete. Eine schuldhafte Verletzung der Dokumentationspflichten konnte von der Arbeitgeberin nicht bewiesen werden; die Darstellung des Arbeitnehmers, die Dokumentationskarte sei nicht auffindbar gewesen, war plausibel. Sehr alte Abmahnungen waren zudem nicht mehr verwertbar.
- Folgen: Die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungen bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin fortbesteht.
Der Fall vor Gericht
LAG Sachsen: Fristlose Kündigung eines schwerbehinderten Fleischers wegen Fehltag und Dokumentationsfehlern unwirksam
Das Sächsische Landesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 18. März 2022 (Az.: 4 Sa 58/20) entschieden, dass die fristlose und auch die hilfsweise ordentliche Kündigung eines langjährig beschäftigten, schwerbehinderten Fleischers durch seinen Arbeitgeber unwirksam sind.

Die Arbeitgeberin, die bundesweit Warenhäuser betreibt, hatte dem Mitarbeiter gekündigt, weil er an einem Tag unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sein soll und weil er angeblich Dokumentationspflichten bei Temperaturkontrollen verletzt habe. Das Gericht bestätigte damit eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Chemnitz und wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück.
Ausgangssituation: Langjähriges Arbeitsverhältnis mit Schwerbehinderung und Vorwarnungen
Der betroffene Mitarbeiter, ein 52-jähriger Fleischer, war seit Mai 2007 in einer Filiale der Arbeitgeberin in C an der Frischetheke beschäftigt. Er besitzt eine anerkannte Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50, was ihm besonderen Kündigungsschutz verleiht.
Das Arbeitsverhältnis war nicht unbelastet. Die Arbeitgeberin hatte dem Mitarbeiter in der Vergangenheit bereits zwei schriftliche Abmahnungen erteilt. Die erste Abmahnung vom 15. Juni 2018 bezog sich auf das angebliche Unterlassen einer Temperaturüberprüfung an der „Fischtheke“. Die Arbeitgeberin korrigierte dies später zu „Fleischtheke“, doch es blieb strittig, ob es sich tatsächlich um eine schriftliche Abmahnung handelte und ob der Mitarbeiter überhaupt an einer Fischtheke tätig war. Die zweite Abmahnung vom 12. Dezember 2018 warf dem Mitarbeiter vor, während der Arbeitszeit sein Ladekabel für das Mobiltelefon an seinem Arbeitsplatz angeschlossen zu haben. Der Mitarbeiter bestritt jedoch, dass es sein Kabel gewesen sei. Diese Abmahnungen bildeten den Hintergrund für die späteren Ereignisse, die zur Kündigung führten.
Streitpunkte: Fehlende Temperatur-Dokumentation und unentschuldigter Fehltag als Kündigungsgründe
Zwei konkrete Vorfälle im April und Mai 2019 gaben für die Arbeitgeberin den Anlass zur Kündigung:
Zum einen ging es um die Temperaturkontrollen an der Fleischtheke. Gemäß dem Eigenkontrollsystem des Unternehmens müssen dort regelmäßig Temperaturmessungen durchgeführt und in einer speziellen Dokumentationskarte („Doku – Karte 3“) festgehalten werden. Die Arbeitgeberin warf dem Fleischer vor, am 29. und 30. April 2019 diese Pflicht verletzt zu haben – am 29. April soll die zweite Messung gefehlt haben, am 30. April beide. Der Mitarbeiter bestritt diesen Vorwurf vehement. Er gab an, die betreffende Dokumentationskarte für April sei ihm entweder bereits am 29. April von seiner Vorgesetzten abgenommen worden oder sie sei nicht mehr auffindbar gewesen, da die neue Karte für Mai bereits im Ordner eingeheftet war.
Zum anderen stand der Vorwurf des unentschuldigten Fehlens am Arbeitsplatz im Raum. Der Mitarbeiter war laut Dienstplan für Samstag, den 4. Mai 2019, von 7:30 bis 14:30 Uhr zur Arbeit eingeteilt, erschien jedoch nicht. Am Vortag hatte er sich bei einer Kollegin bereits ins Wochenende verabschiedet und angekündigt, am Samstag nicht zu kommen. Zudem hatte er für diesen Samstag abgepacktes Hackfleisch bestellt, was laut seiner Aussage üblich war, wenn der Metzgermeister abwesend ist. Zuvor hatte der Mitarbeiter die für die Dienstplanung zuständige Kollegin um einen freien Tag am 4. Mai gebeten. Dies wurde jedoch abgelehnt, mit Verweis auf den Urlaub eines anderen Kollegen und bestehende Minusstunden des Mitarbeiters. Der Fleischer erklärte sein Fehlen damit, dass er nach einem Gespräch mit der Dienstplanerin, in dem diese gesagt habe, sie müsse den Plan ändern und gleichzeitig am Computer tippte, den Eindruck gewonnen habe, die Planänderung sei erfolgt und sein Fehlen damit genehmigt.
Arbeitgeberseitige Schritte zur Kündigung und die Entscheidung des Arbeitsgerichts
Aufgrund dieser beiden Vorfälle beantragte die Arbeitgeberin am 13. Mai 2019 beim Integrationsamt die erforderliche Zustimmung zur Kündigung des schwerbehinderten Mitarbeiters. Auch die Schwerbehindertenvertretung wurde um Zustimmung gebeten. Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten außerordentlichen (fristlosen) Kündigung am 3. Juni 2019 und der hilfsweise beabsichtigten ordentlichen Kündigung am 26. Juni 2019 zu. Der Betriebsrat wurde ebenfalls am 13. Mai 2019 zur Kündigungsabsicht angehört.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2019 sprach die Arbeitgeberin die außerordentliche fristlose Kündigung aus. Hilfsweise folgte mit Schreiben vom 1. Juli 2019 die ordentliche Kündigung zum 31. Januar 2020.
Der Mitarbeiter wehrte sich gegen die Kündigungen und reichte eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Chemnitz ein. Zusätzlich machte er weitere Ansprüche geltend, unter anderem bezüglich seiner Arbeitszeit, Minusstunden, Umkleidezeiten sowie wegen angeblicher Fürsorgepflichtverletzungen und Diskriminierung.
Das Arbeitsgericht Chemnitz gab der Kündigungsschutzklage statt und erklärte mit Urteil vom 27. November 2019 sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung für unwirksam. Die weiteren Klageanträge des Mitarbeiters wies das Gericht jedoch ab. Gegen die Entscheidung zur Unwirksamkeit der Kündigungen legte die Arbeitgeberin Berufung beim Sächsischen Landesarbeitsgericht ein.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts: Berufung der Arbeitgeberin erfolglos
Das Sächsische Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Arbeitgeberin vollumfänglich zurück. Es bestätigte damit das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz: Beide Kündigungen, sowohl die fristlose als auch die ordentliche, sind unwirksam. Das Arbeitsverhältnis des schwerbehinderten Fleischers besteht somit fort. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Begründung des Gerichts: Kein wichtiger Grund für fristlose Kündigung nach § 626 BGB
Das Landesarbeitsgericht (LAG) folgte der Argumentation des Arbeitsgerichts und stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht gegeben waren. Eine solche Kündigung ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig, der es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Dabei muss stets eine umfassende Interessenabwägung erfolgen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Das Gericht prüfte die von der Arbeitgeberin angeführten Gründe im Detail:
Bewertung des unentschuldigten Fehlens am 04.05.2019: Keine beharrliche Arbeitsverweigerung
Das Gericht untersuchte, ob das einmalige Fehlen des Mitarbeiters als beharrliche Arbeitsverweigerung gewertet werden kann, was grundsätzlich einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen könnte. Eine solche Verweigerung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer bewusst und nachhaltig seine Arbeitspflicht verletzt. Das LAG verneinte dies jedoch im konkreten Fall.
Entscheidend war für das Gericht, dass Beharrlichkeit in der Regel eine vorherige einschlägige Abmahnung voraussetzt. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer also bereits zuvor wegen eines ähnlichen Fehlverhaltens (hier: unentschuldigtes Fehlen) abgemahnt haben, um zu zeigen, dass eine Weigerung nachhaltig ist (Prognoseprinzip). Eine solche einschlägige Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens lag hier aber nicht vor. Die Abmahnung vom Dezember 2018 wegen des Ladekabels betraf ein völlig anderes Verhalten und war daher nicht einschlägig.
Zudem wertete das Gericht das Verhalten des Mitarbeiters am Vortag seines Fehlens – die Verabschiedung bei der Kollegin und die Bestellung von Hackfleisch – nicht als Ausdruck einer offenen, hartnäckigen Weigerung. Es spreche eher dafür, dass er unauffällig fernbleiben wollte, nicht aber für eine bewusste Konfrontation. Auch die Einlassung des Mitarbeiters, er habe aufgrund des Gesprächs mit der Dienstplanerin geglaubt, sein Fehlen sei genehmigt, spreche gegen die Annahme einer nachdrücklichen Weigerungshaltung. Das Gericht konnte daher keine Beharrlichkeit der Arbeitsverweigerung feststellen, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde. Das einmalige, wenn auch unentschuldigte Fehlen, reichte unter diesen Umständen nicht aus.
Bewertung der Verletzung der Dokumentationspflichten bei Temperaturkontrollen: Keine schuldhafte Pflichtverletzung nachgewiesen
Auch die angeblich unterlassenen Temperaturmessungen und Dokumentationen am 29. und 30. April 2019 konnten die Kündigung nicht stützen. Zwar stellt die Pflicht zur Dokumentation eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht dar, deren Verletzung grundsätzlich kündigungsrelevant sein kann. Eine außerordentliche Kündigung wegen Verletzung einer Nebenpflicht kommt laut Gericht aber nur in Ausnahmefällen in Betracht, etwa bei besonders schweren oder beharrlichen Verstößen.
Im vorliegenden Fall scheiterte der Kündigungsgrund jedoch bereits daran, dass die Arbeitgeberin keine schuldhafte Pflichtverletzung des Mitarbeiters nachweisen konnte. Die Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes, einschließlich des Verschuldens des Arbeitnehmers, liegt beim Arbeitgeber. Angesichts der Tatsache, dass die neue Dokumentationskarte für Mai offenbar bereits vor Monatsende über der alten April-Karte im Ordner lag, hielt das Gericht die Erklärung des Mitarbeiters für plausibel. Er könnte bei einem kurzen Blick tatsächlich nur die oberste (Mai-)Karte wahrgenommen haben und die darunterliegende April-Karte übersehen haben. Unter diesen Umständen konnte die Arbeitgeberin den Vorwurf, der Mitarbeiter habe die Dokumentation schuldhaft unterlassen, nicht beweisen.
Verwertbarkeit älterer Abmahnungen aus 2009-2014: Zu lange her
Die Arbeitgeberin hatte im Berufungsverfahren versucht, weitere, ältere Abmahnungen und Beanstandungen aus den Jahren 2009 bis 2014 ins Feld zu führen. Das Gericht entschied jedoch, dass diese Vorwürfe aus materiell-rechtlichen Gründen nicht mehr verwertbar waren. Eine einmal erteilte Abmahnung verliert mit der Zeit ihre Warnfunktion und kann eine spätere Kündigung nicht mehr stützen. Zwar gibt es keine starre Frist, aber in der Regel wird von einer Wirkungsdauer von zwei bis drei Jahren ausgegangen. Länger zurückliegende Vorfälle können nur bei besonders schweren Verstößen relevant bleiben. Dies war hier nach Einschätzung des Gerichts bei den alten Vorfällen nicht der Fall. Sie waren zu lange her, um die aktuelle Kündigung noch rechtfertigen zu können.
Gesamtbewertung des Gerichts: Kündigungen unverhältnismäßig und unwirksam
In der Gesamtschau kam das Landesarbeitsgericht zu dem Schluss, dass kein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vorlag. Weder das einmalige Fehlen, das nicht als beharrliche Arbeitsverweigerung eingestuft werden konnte, noch die nicht nachgewiesene schuldhafte Verletzung der Dokumentationspflichten rechtfertigten eine fristlose Entlassung.
Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung hielt der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Für eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung fehlte es ebenfalls an ausreichenden Gründen. Insbesondere wäre bezüglich des unentschuldigten Fehlens – selbst wenn man es als Pflichtverletzung wertet – aufgrund der fehlenden einschlägigen Abmahnung eine Abmahnung das mildere und damit angemessene Mittel gewesen. Hinsichtlich der Temperaturkontrollen fehlte es bereits am Nachweis einer schuldhaften Pflichtverletzung. Unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit und der Schwerbehinderung des Mitarbeiters waren die Kündigungen insgesamt unverhältnismäßig und damit unwirksam. Das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz wurde somit vollumfänglich bestätigt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass für die fristlose Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters besonders strenge Maßstäbe gelten und ein einmaliges unentschuldigtes Fehlen ohne vorherige einschlägige Abmahnung nicht ausreicht. Arbeitgeber müssen für Kündigungsgründe wie angebliche Dokumentationsmängel eine schuldhafte Pflichtverletzung nachweisen können – bloße Behauptungen genügen nicht. Bei der Prüfung einer Kündigung spielen Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine entscheidende Rolle, wobei ältere Abmahnungen (über 3 Jahre) in der Regel nicht mehr zur Rechtfertigung herangezogen werden können.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Unter welchen Umständen kann ein einmaliges unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz eine Kündigung rechtfertigen?
Einmaliges unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz ist eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Allerdings führt ein solches einmaliges Fehlen nicht automatisch zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das deutsche Arbeitsrecht sieht die Kündigung als ein letztes Mittel an.
Die Bedeutung der Abmahnung
Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht, dass der Arbeitgeber ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers in der Regel zunächst abmahnen muss, bevor er eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen kann. Eine Abmahnung hat den Zweck, dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten deutlich aufzuzeigen und ihm die Chance zu geben, sein Verhalten für die Zukunft zu ändern. Gleichzeitig wird mit der Abmahnung klargestellt, dass im Wiederholungsfall der Arbeitsplatz gefährdet ist.
Ein erstmaliges unentschuldigtes Fehlen, das keine extremen Auswirkungen hat, rechtfertigt daher meist keine sofortige Kündigung ohne vorherige Abmahnung. Es wäre in der Regel eine Abmahnung für dieses Fehlen notwendig, und erst bei einem erneuten ähnlichen Vorfall könnte eine Kündigung in Betracht gezogen werden.
Wann eine Kündigung ausnahmsweise möglich sein könnte
Es gibt sehr seltene Ausnahmefälle, in denen eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung bei einem einmaligen unentschuldigten Fehlen gerechtfertigt sein kann. Dies ist nur möglich, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Solche Fälle liegen vor, wenn:
- Das Fehlen massive und unvorhergesehene Auswirkungen auf den Betrieb hat, z. B. wenn es zu erheblichen Schäden führt, die Sicherheit der Kollegen oder Dritter gefährdet oder den gesamten Betriebsablauf zum Erliegen bringt, und
- Der Arbeitnehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Verhalten eine solche schwerwiegende Folge haben würde und eine Hinnahme durch den Arbeitgeber ausgeschlossen ist.
Stellen Sie sich vor, ein Arbeitnehmer, der alleine für die Überwachung einer kritischen Anlage zuständig ist, bleibt unentschuldigt fern, und dadurch entsteht eine gefährliche Situation oder ein hoher Schaden. In einem solchen extremen Fall könnte unter Umständen eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein. Solche Situationen sind jedoch die Ausnahme und erfordern eine genaue Prüfung aller Umstände.
Welche Faktoren spielen eine Rolle?
Bei der Beurteilung, ob ein einmaliges (oder wiederholtes nach Abmahnung) unentschuldigtes Fehlen eine Kündigung rechtfertigen kann, werden immer die Umstände des Einzelfalls genau betrachtet. Wichtige Faktoren sind:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit: Je länger ein Arbeitnehmer im Unternehmen ist, desto höher sind in der Regel die Anforderungen an eine Kündigung.
- Schwere des Fehlens: Wie lange war der Arbeitnehmer unentschuldigt abwesend? Gab es vielleicht doch einen (wenn auch nicht ordnungsgemäß mitgeteilten) Grund?
- Auswirkungen auf den Betrieb: Welchen Schaden (wirtschaftlich oder organisatorisch) hat das Fehlen verursacht?
- Vorliegen und Art früherer Abmahnungen: Wurde der Arbeitnehmer bereits wegen ähnlicher Pflichtverletzungen (z.B. unentschuldigtes Fehlen, Zuspätkommen, Nicht-Information bei Krankheit) abgemahnt?
- Persönliche Umstände des Arbeitnehmers: Alter, Unterhaltspflichten oder eine Schwerbehinderung können ebenfalls eine Rolle spielen.
Diese Faktoren werden gegeneinander abgewogen, um festzustellen, ob die Kündigung im konkreten Fall verhältnismäßig, also das angemessene und nicht überzogene Mittel, ist.
Welche Rolle spielt eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bei einer Kündigung?
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit anerkannter Schwerbehinderung besteht ein besonderer Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass eine Kündigung durch den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen erschwert ist und zusätzliche Schritte erfordert.
Zustimmung des Integrationsamtes
Eine Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ist grundsätzlich nur wirksam, wenn das zuständige Integrationsamt vorher zugestimmt hat. Das Integrationsamt prüft im Zustimmungsverfahren, ob die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht oder aus anderen Gründen erfolgt. Ziel ist es, schwerbehinderte Menschen vor diskriminierenden Kündigungen aufgrund ihrer Behinderung zu schützen. Ohne diese Zustimmung ist die Kündigung in der Regel unwirksam.
Anhörung der Schwerbehindertenvertretung
Zusätzlich muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehindertenvertretung anhören, sofern eine solche im Betrieb existiert. Der Arbeitgeber muss die geplante Kündigung und deren Gründe darlegen. Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht, dazu Stellung zu nehmen. Dieses Anhörungsrecht dient dazu, die Interessen der schwerbehinderten Beschäftigten zu wahren und mögliche Alternativen zur Kündigung aufzuzeigen.
Berücksichtigung bei der sozialen Auswahl und Interessenabwägung
Auch bei Kündigungen, die nicht direkt mit der Schwerbehinderung zusammenhängen, spielt diese eine Rolle. Zum Beispiel bei betriebsbedingten Kündigungen: Wenn der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen Personal abbauen muss, wählt er die zu kündigenden Mitarbeiter im Rahmen der sozialen Auswahl aus. Dabei müssen Kriterien wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eben auch eine Schwerbehinderung besonders berücksichtigt werden. Eine Schwerbehinderung stärkt die soziale Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers.
Bei verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen, bei denen kein formelles Zustimmungsverfahren durch das Integrationsamt erforderlich ist (z.B. bei verhaltensbedingten Kündigungen im Kleinbetrieb), wird die Schwerbehinderung im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung berücksichtigt. Hierbei wägt das Gericht das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortsetzung ab. Die Schwerbehinderung kann hier das Gewicht des Arbeitnehmerinteresses erhöhen, insbesondere wenn die Kündigungsgründe mit der Behinderung zusammenhängen.
Was bedeutet „beharrliche Arbeitsverweigerung“ im Sinne des Kündigungsrechts?
Im Arbeitsrecht spricht man von beharrlicher Arbeitsverweigerung, wenn ein Arbeitnehmer absichtlich und trotz Aufforderung oder Verwarnung die Ausführung einer Arbeitsleistung verweigert, die zu seinen vertraglichen Pflichten gehört oder die ihm der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts korrekt übertragen hat.
Es geht dabei nicht um ein einmaliges Versehen, ein Missverständnis oder die Unfähigkeit, eine Aufgabe zu erfüllen. Vielmehr liegt eine bewusste und fortdauernde Weigerung vor, die vertraglich geschuldete Arbeit zu leisten. Stellen Sie sich vor, Ihr Arbeitsvertrag sieht bestimmte Tätigkeiten vor, und Ihr Arbeitgeber weist Sie an, diese auszuführen. Wenn Sie sich weigern, dies zu tun, und diese Weigerung wiederholt auftritt oder trotz klarer Weisung beibehalten wird, spricht man von Beharrlichkeit.
Die beharrliche Arbeitsverweigerung gilt als eine erhebliche Pflichtverletzung, da sie das Kernstück des Arbeitsverhältnisses, nämlich die Leistung der Arbeit gegen Lohn, direkt betrifft. Weil der Arbeitnehmer die ihm übertragene Arbeit vorsätzlich und dauerhaft nicht leistet, kann dieses Verhalten eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. In der Regel ist einer Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung eine vorherige Abmahnung (eine offizielle Rüge durch den Arbeitgeber) vorauszugehen, um dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, sein Verhalten zu ändern. In besonders schwerwiegenden Fällen kann unter Umständen auch eine sofortige Kündigung ohne vorherige Abmahnung in Betracht kommen.
Welche Bedeutung haben Abmahnungen im Zusammenhang mit einer Kündigung?
Eine Abmahnung ist im Arbeitsrecht ein wichtiges Mittel des Arbeitgebers. Ihre Hauptfunktion ist eine formelle Warnung an den Arbeitnehmer. Stellen Sie sich das wie eine „gelbe Karte“ vor, bevor eine mögliche „rote Karte“ (die Kündigung) folgt.
Funktion der Abmahnung
Die Abmahnung dient dazu, dem Arbeitnehmer ein konkretes Fehlverhalten aufzuzeigen. Das kann zum Beispiel wiederholtes Zuspätkommen, die Nichteinhaltung von Pausenregeln oder unentschuldigtes Fehlen sein. Mit der Abmahnung macht der Arbeitgeber deutlich, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist und gegen die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstößt.
Gleichzeitig ist die Abmahnung eine Aufforderung zur Verhaltensänderung. Der Arbeitnehmer wird aufgefordert, das beanstandete Verhalten künftig zu unterlassen. Schließlich enthält die Abmahnung eine klare Warnung vor den Konsequenzen: Es wird angekündigt, dass im Wiederholungsfall oder bei ähnlichen Verstößen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses droht.
Wirksamkeit einer Abmahnung
Damit eine Abmahnung ihre Funktion erfüllen kann und im Falle einer späteren Kündigung berücksichtigt werden darf, muss sie wirksam sein. Eine wirksame Abmahnung muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen:
- Konkrete Beschreibung des Fehlverhaltens: Die Abmahnung muss genau angeben, was wann und wo vorgefallen ist. Allgemeine Vorwürfe wie „Sie arbeiten unzuverlässig“ reichen nicht aus. Das Fehlverhalten muss so präzise beschrieben sein, dass der Arbeitnehmer genau weiß, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird.
- Hinweis auf die Pflichtverletzung: Es muss klar gemacht werden, dass dieses Verhalten eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag darstellt.
- Aufforderung zur Verhaltensänderung: Der Arbeitnehmer muss unmissverständlich aufgefordert werden, das beanstandete Verhalten künftig zu unterlassen.
- Warnung vor Konsequenzen: Es muss eindeutig darauf hingewiesen werden, dass bei einem erneuten ähnlichen Verstoß eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses drohen kann.
Fehlt eine dieser Voraussetzungen oder ist die Abmahnung inhaltlich falsch, kann sie unwirksam sein.
Auswirkungen unwirksamer Abmahnungen auf eine spätere Kündigung
Eine Kündigung, die der Arbeitgeber auf ein Fehlverhalten stützt, das bereits abgemahnt wurde, setzt in der Regel eine wirksame Abmahnung voraus (dies gilt für die sogenannte verhaltensbedingte Kündigung).
Ist die zuvor erteilte Abmahnung jedoch unwirksam, weil ihr beispielsweise die konkrete Beschreibung des Vorfalls fehlt oder die Warnung vor einer Kündigung nicht enthalten ist, dann kann diese Abmahnung eine spätere Kündigung wegen des gleichen oder eines ähnlichen Fehlverhaltens nicht rechtfertigen.
Für Sie bedeutet das: Eine Kündigung, die sich auf eine unwirksame Abmahnung stützt, hat im Kündigungsschutzverfahren oft keinen Bestand. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall in der Regel zunächst eine wirksame Abmahnung aussprechen, bevor er bei einem wiederholten Verstoß kündigen kann. Eine unwirksame Abmahnung ist also so, als wäre sie gar nicht erfolgt, wenn es um die Begründung einer Kündigung wegen dieses konkreten Fehlverhaltens geht. Sie kann ihre „Warnfunktion“ rechtlich nicht entfalten.
Was ist bei der Dokumentation von Arbeitsleistungen (z.B. Temperaturkontrollen) rechtlich zu beachten?
Die Dokumentation von Arbeitsleistungen ist in vielen Berufen ein wichtiger Teil der Arbeitspflicht. Stellen Sie sich vor, Sie müssen nachweisen, dass bestimmte Kontrollen, wie etwa Temperaturmessungen, sorgfältig und pünktlich durchgeführt wurden. Diese Dokumentation dient oft als Nachweis für die Einhaltung von Vorschriften, Qualitätsstandards oder zur Sicherheit von Produkten oder Prozessen.
Anforderungen an die Dokumentation
Die Anforderungen an die Dokumentation ergeben sich in der Regel aus dem Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen oder gesetzlichen Vorgaben (z.B. im Lebensmittelbereich oder bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten). Grundsätzlich muss die Dokumentation wahr, klar und vollständig sein. Das bedeutet:
- Sie muss die tatsächlich durchgeführte Leistung korrekt abbilden.
- Sie muss so verständlich sein, dass auch andere Personen nachvollziehen können, was wann getan wurde.
- Sie muss zeitnah erfolgen, also direkt im Anschluss oder während der Ausführung der Tätigkeit, nicht erst Stunden oder Tage später aus der Erinnerung.
Wenn Sie Ihre Arbeitsleistung dokumentieren müssen, ist das eine Arbeitspflicht. Die Art und Weise der Dokumentation (z.B. auf einem Formular, in einer Liste, digital) wird vom Arbeitgeber vorgegeben.
Folgen mangelhafter Dokumentation
Eine unzureichende oder falsche Dokumentation ist rechtlich gesehen eine Verletzung der Arbeitspflichten. Es ist so, als würden Sie einen Teil Ihrer zugewiesenen Arbeit nicht erledigen oder fehlerhaft ausführen.
Die Konsequenzen können je nach Schwere des Verstoßes und den Umständen des Einzelfalls unterschiedlich sein. Ein häufiger erster Schritt ist eine Abmahnung. Damit macht der Arbeitgeber deutlich, dass er das Verhalten missbilligt und bei einer Wiederholung oder einem weiteren ähnlichen Verstoß ernstere Konsequenzen drohen. Im Wiederholungsfall oder bei besonders schweren Verstößen, die zum Beispiel zu erheblichen Schäden führen oder die Sicherheit gefährden, kann auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Folge sein. Das gilt insbesondere dann, wenn die mangelhafte Dokumentation dazu führt, dass wichtige Nachweise fehlen oder Abläufe nicht mehr nachvollziehbar sind.
Kontrolle und Sanktionierung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber hat das Recht, die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeitspflichten zu kontrollieren. Dazu gehört auch die Überprüfung der Dokumentation. Diese Kontrolle dient dazu sicherzustellen, dass die Vorgaben eingehalten werden und die Dokumentation ihren Zweck erfüllt.
Wenn bei dieser Kontrolle festgestellt wird, dass die Dokumentation mangelhaft ist, kann der Arbeitgeber Sanktionen ergreifen. Wie bereits erwähnt, reichen diese von einer Ermahnung oder Abmahnung bis hin zur Kündigung. Die Art und Schwere der Sanktion muss dabei immer angemessen sein und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Das bedeutet, die Konsequenz muss im Verhältnis zur Schwere des Pflichtverstoßes stehen. Eine sofortige Kündigung wegen eines einmaligen kleinen Fehlers bei der Dokumentation wäre in der Regel unverhältnismäßig, es sei denn, es handelt sich um einen besonders schwerwiegenden Fall.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine korrekte und vollständige Dokumentation ist oft eine wesentliche Arbeitspflicht. Fehler oder Versäumnisse dabei können als Pflichtverletzung gewertet werden und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Der Arbeitgeber darf die Einhaltung dieser Pflicht kontrollieren und bei Verstößen entsprechend reagieren.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Fristlose Kündigung (außerordentliche Kündigung)
Eine fristlose Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis sofort, ohne dass eine Kündigungsfrist eingehalten werden muss. Nach § 626 Absatz 1 BGB ist sie nur zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen. Der wichtige Grund muss so schwerwiegend sein, dass eine sofortige Beendigung gerechtfertigt ist, etwa bei einer schweren Pflichtverletzung des Arbeitnehmers. Im konkreten Fall prüfte das Gericht, ob das unentschuldigte Fehlen und die Dokumentationsverstöße einen solchen Grund darstellen.
Beispiel: Wenn ein Arbeitnehmer wiederholt und absichtlich Informationen fälscht, die für die Sicherheit im Betrieb wichtig sind, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Abmahnung
Eine Abmahnung ist eine formelle Warnung des Arbeitgebers, mit der ein konkretes Fehlverhalten des Arbeitnehmers gerügt wird. Sie gibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sein Verhalten zu ändern, bevor der Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht. Damit eine Abmahnung wirksam ist, muss sie das Fehlverhalten genau beschreiben, die Pflichtverletzung benennen, eine Verhaltensänderung verlangen und vor einer möglichen Kündigung warnen. Ohne eine wirksame Abmahnung kann eine verhaltensbedingte Kündigung in der Regel nicht erfolgen. Im vorliegenden Fall wurde die Abmahnung wegen des unentschuldigten Fehlens als nicht einschlägig betrachtet, da sie fehlte oder unwirksam war.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer kommt häufig zu spät zur Arbeit, die erste Verspätung wird abgemahnt. Erst wenn er trotz Abmahnung weiter zu spät kommt, kann der Arbeitgeber kündigen.
Schwerbehinderung und besonderer Kündigungsschutz
Arbeitnehmer mit einer anerkannten Schwerbehinderung (ab einem Grad der Behinderung von mindestens 50) genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber vor einer Kündigung die Zustimmung des zuständigen Integrationsamts einholen muss (§ 168 SGB IX). Ziel ist es, die Kündigung wegen der Behinderung oder ohne sachlichen Grund zu verhindern. Zudem sind die Schwerbehindertenvertretung und gegebenenfalls der Betriebsrat anzuhören. Die Schwerbehinderung fließt auch in die Interessenabwägung ein und erhöht den Schutz des Mitarbeiters bei Kündigungen, wie es im vorliegenden Fall der Fall war.
Beispiel: Ein schwerbehinderter Mitarbeiter kann nicht ohne Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden.
Beharrliche Arbeitsverweigerung
Beharrliche Arbeitsverweigerung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer absichtlich und fortdauernd trotz Aufforderung oder Abmahnung seine vertraglich geschuldete Arbeit nicht verrichtet oder Weisungen des Arbeitgebers nicht befolgt. Es handelt sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann, wenn die Verweigerung nachhaltig und bewusst ist. Im Urteilsfall wurde geprüft, ob das einmalige unentschuldigte Fehlen des Fleischer eine solche Verweigerung darstellt, was verneint wurde, da keine frühere Abmahnung vorlag und das Verhalten nicht nachdrücklich war.
Beispiel: Ein Mitarbeiter weigert sich trotz wiederholter Aufforderung, eine ihm zugewiesene Maschine zu bedienen, und kehrt immer wieder zumgleichen Verhalten zurück.
Pflichtverletzung bei der Dokumentation
Eine Pflichtverletzung bei der Dokumentation liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer eine vertraglich oder gesetzlich vorgeschriebene Aufzeichnungspflicht nicht erfüllt, etwa die Dokumentation von Temperaturkontrollen. Diese Dokumentationspflichten sind oft Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag und dienen zur Sicherstellung von Qualität oder Sicherheit. Eine solche Verletzung kann eine Abmahnung oder, in schweren oder wiederholten Fällen, eine Kündigung rechtfertigen. Entscheidend ist, dass die Pflichtverletzung schuldhaft, also vom Arbeitnehmer zu vertreten ist. Im Streitfall konnte die Arbeitgeberin keine schuldhafte Pflichtverletzung nachweisen.
Beispiel: Ein Lebensmittelproduzent muss die Kühltemperaturen täglich dokumentieren. Das bewusste Auslassen dieser Dokumentation kann eine Pflichtverletzung darstellen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 626 Abs. 1 BGB (außerordentliche Kündigung): Regelt die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber, die nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig ist, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Es ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, wobei der Kündigungsgrund substantiiert und schuldhaft sein muss. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht stellte fest, dass kein solcher wichtiger Grund vorlag, da weder das einmalige Fehlen noch die angeblichen Dokumentationsverstöße eine schwerwiegende oder beharrliche Pflichtverletzung darstellten.
- Schwerbehindertenschutz (§ 85 SGB IX, §§ 168-170 SGB IX): Gewährleistet besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer, einschließlich der Pflicht zur vorherigen Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung. Ziel ist es, die soziale Integration und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu sichern. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Zustimmung des Integrationsamts wurde zwar eingeholt, dies entbindet die Arbeitgeberin jedoch nicht von der materiellen Prüfung des Kündigungsschutzes, die das Gericht letztlich negativ bewertete.
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Schützt Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen und regelt, dass eine ordentliche bzw. außerordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss, insbesondere nach Abmahnung und unter Berücksichtigung milderer Mittel. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die fehlende einschlägige Abmahnung gegenüber dem Mitarbeiter aufgrund unentschuldigten Fehlens und die lange Betriebszugehörigkeit führten zur Unverhältnismäßigkeit der Kündigungen.
- Arbeitsrechtliche Nebenpflichten (vertragliche Fürsorgepflicht, Pflicht zur sorgfältigen Dokumentation): Arbeitnehmer haben Nebenpflichten, die den reibungslosen Arbeitsablauf sichern, z. B. Dokumentation von Temperaturkontrollen. Eine Verletzung kann theoretisch Kündigungsgrund sein, wenn sie schwerwiegend und schuldhaft ist. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht konnte keine schuldhafte Pflichtverletzung beim Unterlassen der Temperaturdokumentation nachweisen, da der Mitarbeiter eine plausible Erklärung gab und die Beweislast beim Arbeitgeber lag.
- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Kündigungen müssen das letzte Mittel (ultima ratio) sein; vorher sind mildere Maßnahmen wie Abmahnungen zu ergreifen, insbesondere bei langjährigen und schwerbehinderten Mitarbeitern. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Aufgrund der fehlenden einschlägigen Abmahnung und der besonderen Umstände wurde die Kündigung als unverhältnismäßig bewertet und daher für unwirksam erklärt.
- Beweislast im Kündigungsschutzprozess: Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes einschließlich des Verschuldens des Mitarbeiters. Fehlende Beweise führen zur Unwirksamkeit der Kündigung. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Arbeitgeberin konnte nicht nachweisen, dass der Mitarbeiter schuldhaft seine Dokumentationspflichten verletzt hat, weshalb der Kündigungsgrund entfiel.
Das vorliegende Urteil
Sächsisches Landesarbeitsgericht – Az.: 4 Sa 58/20 – Urteil vom 18.03.2022
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