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Fristlose Kündigung bei Arbeitsverweigerung – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Arbeitsverweigerung und Kündigung: Ein Blick auf das Zurückbehaltungsrecht

Der folgende Fall befasst sich mit der rechtlichen Problematik, die entsteht, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung verweigert und der Arbeitgeber daraufhin eine fristlose Kündigung ausspricht. Im Zentrum steht dabei die Frage, unter welchen Umständen eine solche Kündigung rechtens ist und wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesem Kontext zu berücksichtigen ist. Ein weiteres Kernthema ist die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Arbeitnehmer bei behaupteten Lohnrückständen. Hierbei wird untersucht, ob und inwiefern das Zurückbehaltungsrecht die Arbeitsverweigerung rechtfertigen kann und welche Schritte der Arbeitgeber vor einer fristlosen Kündigung zu unternehmen hat.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Ca 817/19  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Arbeitsgericht Aachen entschied, dass die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung aufgrund behaupteter Lohnrückstände zurückhielt, unwirksam ist, da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht beachtet wurde.

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Arbeitsverweigerung: Der Kläger verweigerte die Arbeit und berief sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Lohnrückstände.
  2. Fristlose Kündigung: Der Arbeitgeber kündigte daraufhin fristlos, ohne vorherige Abmahnung.
  3. Gerichtliche Überprüfung: Das Gericht prüfte die Kündigung auf ihre Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit.
  4. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Das Gericht betonte, dass eine fristlose Kündigung nur zulässig ist, wenn keine milderen Maßnahmen, wie eine Abmahnung, zumutbar sind.
  5. Unwirksamkeit der Kündigung: Die Kündigung wurde als unwirksam eingestuft, da sie einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt.
  6. Abmahnung erforderlich: Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitgeber den Kläger zunächst hätte abmahnen müssen.
  7. Zurückbehaltungsrecht: Das Gericht erkannte an, dass der Kläger das Recht hatte, seine Arbeitsleistung aufgrund von Lohnrückständen zurückzuhalten.
  8. Folgen für Arbeitgeber: Das Urteil unterstreicht die Notwendigkeit einer Abmahnung vor einer Kündigung und betont die Rechte der Arbeitnehmer.

Konflikt vor Gericht: Arbeitsverweigerung und Kündigung

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung, die vor dem Arbeitsgericht Aachen unter dem Aktenzeichen 4 Ca 817/19 verhandelt wurde. Der Kläger, ein Arbeitnehmer, hatte gegen eine fristlose Kündigung seines Arbeitgebers, der Beklagten, geklagt. Die Kündigung war dem Kläger am 26.06.2019 zugegangen. Der Kläger war als Marktleiter tätig und sollte sich laut Beklagter um 05:30 Uhr in M einfinden, um auf dem Marktwagen in C eingesetzt zu werden. Der Kläger lehnte jedoch ab und machte ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung wegen behaupteter Lohnrückstände geltend.

Die Argumente beider Seiten

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall lag in der Frage, ob die fristlose Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigtwar. Die Beklagte argumentierte, dass der Kläger durch sein Verhalten und die häufigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von verschiedenen Ärzten gezeigt habe, dass er kein Interesse an seinem Arbeitsverhältnis habe. Zudem behauptete die Beklagte, dass dem Kläger kein Lohnanspruch zustehe und somit auch kein Zurückbehaltungsrecht bestehe. Der Kläger hingegen argumentierte, dass die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts aufgrund von Lohnrückständen kein unentschuldigtes Fehlen darstelle.

Gerichtsentscheidung: Ein Sieg für den Arbeitnehmer

Das Gericht entschied zugunsten des Klägers. Es stellte fest, dass die fristlose Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis nicht beendet wurde. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Kündigung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Es wurde betont, dass eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht kommt, wenn keine milderen Reaktionsmöglichkeiten, wie eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung, zumutbar sind. Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte den Kläger zunächst abmahnen müssen, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird.

Das Gericht führte weiter aus, dass der Kläger durch die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts klar zum Ausdruck gebracht habe, dass er nicht grundsätzlich die Arbeitsleistung ablehnt, sondern davon ausgeht, gute Gründe für sein Fernbleiben zu haben. Selbst wenn die Beklagte der Ansicht ist, dass kein Zurückbehaltungsrecht besteht, hätte es einer vorherigen Abmahnung bedurft.

Auswirkungen und Fazit: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Fokus

Die Auswirkungen dieses Urteils sind vielfältig. Es betont die Notwendigkeit einer Abmahnung vor einer Kündigung und unterstreicht die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Arbeitsrecht. Das Urteil macht deutlich, dass Arbeitnehmer das Recht haben, ihre Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn sie berechtigte Gründe dafür sehen, und dass Arbeitgeber in solchen Fällen nicht sofort zur fristlosen Kündigung greifen können.

Das Fazit des Urteils ist, dass Arbeitgeber bei der Ausübung ihres Kündigungsrechts vorsichtig sein müssen und sicherstellen sollten, dass sie alle notwendigen Schritte, einschließlich einer Abmahnung, unternommen haben, bevor sie zu drastischen Maßnahmen wie einer fristlosen Kündigung greifen. Es betont auch die Rechte der Arbeitnehmer, insbesondere in Bezug auf Lohnrückstände und das Zurückbehaltungsrecht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie ist der „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ im Kontext von Kündigungen zu verstehen?

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz spielt eine entscheidende Rolle im Kontext von Kündigungen. Dieser Grundsatz besagt, dass eine Kündigung nur als äußerstes Mittel in Betracht kommt, wenn eine weniger einschneidende Maßnahme, wie zum Beispiel eine Abmahnung, Versetzung oder Änderungskündigung, nicht möglich oder unzumutbar ist.

Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Beendigungskündigung prüfen, ob sich die Kündigung durch eine anderweitige Beschäftigung, unter Umständen zu schlechteren Arbeitsbedingungen, vermeiden lässt. Eine anderweitige Beschäftigung ist dem Arbeitgeber nur zumutbar, wenn der Arbeitnehmer die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für die neue Tätigkeit aufweist oder sie zumindest in angemessener Zeit durch Umschulung oder Fortbildung erwerben kann.

Wenn der Kündigungsgrund im Verhalten des Arbeitnehmers liegt, braucht der Arbeitgeber eine anderweitige Beschäftigung nur anzubieten, wenn davon auszugehen ist, dass am neuen Arbeitsplatz die bisherigen Störungen und Belastungen vermieden werden können.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt auch vom Arbeitnehmer, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung den pflichtwidrig handelnden Arbeitgeber abzumahnen.

Zusätzlich zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt das Prognoseprinzip. Dieses besagt, dass der Grund für eine Kündigung immer in der Zukunft liegt und aufgrund einer Prognose ermittelt werden muss.

Zusammengefasst bedeutet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass eine Kündigung immer das letzte Mittel zur Konfliktlösung sein muss und nur dann ausgesprochen werden darf, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die Prognose nahelegt, dass das Arbeitsverhältnis in der Zukunft erheblich beeinträchtigt sein wird.

Was beinhaltet das „Zurückbehaltungsrecht“ eines Arbeitnehmers bezüglich seiner Arbeitsleistung?

Das Zurückbehaltungsrecht eines Arbeitnehmers bezieht sich auf das Recht, die eigene Arbeitsleistung zu verweigern, solange der Arbeitgeber seine eigenen vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat. Dieses Recht ist im § 273 Abs.1 BGB verankert und dient der Sicherung von Ansprüchen und der Vermeidung einseitiger Abhängigkeit.

Ein Arbeitnehmer kann dieses Recht in Anspruch nehmen, wenn der Arbeitgeber beispielsweise seine Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit am Arbeitsplatz nicht erfüllt. Ein praktisches Beispiel wäre, wenn der Arbeitgeber die Arbeit in asbestbelasteten Räumen verlangt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer aufgrund der damit verbundenen Gesundheitsgefährdung die Arbeitsleistung verweigern und Beschäftigung unter asbestfreien Arbeitsbedingungen verlangen.

Ein weiterer wichtiger Anwendungsfall ist, wenn der Arbeitgeber mit der Zahlung des Lohns in Verzug geraten ist. Durch die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist der Arbeitnehmer davor geschützt, durch immer weitere Vorleistungen dauerhaft ohne Vergütung zu arbeiten. Allerdings sollte beachtet werden, dass nachträgliche Teilzahlungen des Arbeitgebers dazu führen können, dass das ursprünglich zurecht ausgeübte Zurückbehaltungsrecht wieder entfällt.

Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts muss jedoch immer unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben erfolgen. Dies verbietet es dem Arbeitnehmer etwa, seine Arbeitsleistung wegen eines verhältnismäßig geringfügigen Lohnanspruchs/Lohnrückstands zurückzuhalten.

Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, dass und warum er seine Arbeit zurückhält. Arbeitnehmer, die vom Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen wollen, sollten dies daher am besten schriftlich machen. Dabei sollte genau gesagt werden, welche Leistungen der Arbeitgeber erbringen muss, damit der Arbeitnehmer wieder arbeitet.

Die berechtigte Zurückbehaltung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer führt zum Arbeitsausfall. In diesem Fall ist der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte dazu verpflichtet, den Arbeitsausfall zu vergüten, da sich der Arbeitgeber während der berechtigten Zurückbehaltung der Arbeitsleistung im Annahmeverzug befindet (§ 615 Satz 1 BGB).


Das vorliegende Urteil

Arbeitsgericht Aachen – Az.: 4 Ca 817/19 – Urteil vom 24.09.2019

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 25.06.2019, welche dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 26.06.2019 zugegangen ist, weder fristlos beendet worden ist noch zu einem späteren Zeitpunkt beendet werden wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.620,62 € (i. W. vierzehntausendsechshundertzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.025,49 € (i. W. zweitausendfünfundzwanzig Euro, Cent wie nebenstehend) seit dem 16.12.2018, aus weiteren 875,12 € (i. W. achthundertfünfundsiebzig Euro, Cent wie nebenstehend) seit dem 16.02.2019, aus weiteren 518,40 € (i. W. fünfhundertachtzehn Euro, Cent wie nebenstehend) ebenfalls seit dem 16.02.2019, aus weiteren 3.188,50 € (i. W. dreitausendeinhundertachtundachtzig Euro, Cent wie nebenstehend) seit dem 16.05.2019 aus weiteren 4.151,50 € (i. W. viertausendeinhunderteinundfünfzig Euro, Cent wie nebenstehend) seit dem 16.06.2019 und aus weiteren 3.861,61 € (i. W. dreitausendachthunderteinundsechzig Euro, Cent wie nebenstehend) seit dem 16.07.2019 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 16% und die Beklagte zu 84%.

4. Streitwert: 24.909,12 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung und über Vergütungsansprüche des Klägers.

Der am 1 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern zu Unterhalt verpflichtet.

Die Beklagte vertreibt unter dem Markennamen ‟. Backwaren auf Wochenmärkten im Bereich B und L/C sowie in Teilen von S. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG. Ein Betriebsrat besteht bei ihr nicht.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 05.01.2010 zunächst als Verkäufer tätig. Zum 01.01.2018 wurde der Kläger als Marktleiter für den Bereich B/L beschäftigt bei einem laut Arbeitsvertrag zuletzt festgeschriebenen Lohn von 17,87 € brutto pro Stunde. Im Monat Dezember 2018 rechnete die Beklagte mit einem Stundenlohn von 18,05 € brutto ab (vgl. Lohnabrechnung Bl. 12 d.A.).

Im Rahmen der Lohnabrechnung für Januar 2019 nahm die Beklagte eine Korrektur der Lohnabrechnung für Dezember 2018 vor und rechnete diesen Monat nunmehr auf Basis eines Stundenlohns von 14,00 € ab. Sie errechnet einen Differenzbetrag für den Dezember bzgl. des dort ursprünglich mit 18,05 € abgerechneten Stundenlohns in Höhe von insgesamt 875,12 € brutto.

Der Kläger wurde im Zeitraum vom 12.09.2018 bis zum 23.03.2019 durch insgesamt sechs verschiedene Ärzte (mit kurzen Unterbrechungen) krankgeschrieben. Hierbei stellten die Ärzte insgesamt 7 Erstbescheinigungen und 7 Folgebescheinigungen aus.

Seinen ersten Arbeitstag nach der Krankheitsphase hatte der Kläger am 02.04.2019. Am 04.04.2019 erfolgte der Gütetermin im hiesigen Verfahren. Danach erfolgte eine Beschäftigung wieder am 06.04.2019, wobei der Kläger im Wesentlichen mit Reinigungsarbeiten betraut wurde.

Am 08.04.2019 kam es zu einem Personalgespräch zwischen den Parteien zum Thema der weiteren Einsatzmöglichkeiten des Klägers. Die genauen Details des Gespräches sind zwischen den Parteien streitig.

Sodann erfolgte zunächst keine Arbeitsleistung durch den Kläger mehr.

Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 05.06.2019 (Bl. 78 f. d.A.) wurde der Kläger dann aufgefordert am 08.06.2019 morgens in M, S, zu erscheinen, wo eine Tätigkeitsbestimmung erfolgen sollte. Der Kläger erschien am 08.06.2019 wie vereinbart und wurde sodann aufgefordert einen Markt in C als Aushilfe zu beschicken. Der Einsatz erfolgte bis 19:00 Uhr. Ein weiteres Gespräch über zukünftige Einsatzzeiten wurde an diesem Tag nicht mehr geführt. Dies monierte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 10.06.2019 (Bl. 81 f. d.A.), in welchem er gleichzeitig die Arbeitsleistung des Klägers als Marktleiter anbot.

Mit E-Mail vom 14.06.2019 (Bl. 83 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger sodann weitere Einsatzzeiten mit. Ein Einsatz sollte hiernach erfolgen am 18.06., 22.06., 24.06., 26.06. und 28.06.2019. Dem Kläger wurde mitgeteilt er solle sich jeweils um 05:30 Uhr in M einfinden und werde dann auf dem Marktwagen in C eingesetzt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.06.2019 (Bl. 84 f. d.A.) teilte der Kläger der Beklagten mit, er lehne etwaige Noteinsätze als Aushilfe in C nicht grundsätzlich ab, begehre aber weiterhin grundsätzlich eine Beschäftigung entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen als Marktleiter.

Der Kläger machte in dem Schreiben zudem ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung wegen von ihm im Detail aufgeführter behaupteter zwischenzeitlicher Lohnrückstände geltend. Für genaue Details wird inhaltlich auf das Schreiben Bezug genommen.

Die Einsätze gemäß Schrieben vom 14.06.2019 nahm der Kläger daher nicht wahr.

Mit Schreiben vom 25.06.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger daraufhin außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2019, hilfsweise zum nächst zulässigem Termin.

Mit am 11.07.2019 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangener Erweiterung seiner ursprünglich bereits am 16.03.2019 eingegangene Zahlungsklage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung.

Mit seiner weiteren Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr 2018, von 875,12 € Lohnabzug betreffend den Monat Dezember 2018 und 518,40 € Vergütungsdifferenz für Januar 2019, sowie von Vergütung für die Monate April, Mai und Juni 2019.

Ursprünglich ebenfalls gestellte Anträge auf Zahlung von Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 22.01.2019 bis zum 30.03.2019 hat der Kläger zwischenzeitlich zurückgenommen, nachdem seine Krankenkasse nachträglich für diese Zeiträume Krankengeld geleistet hat.

Der Kläger ist der Auffassung die Beklagte schulde ihm noch die eingeklagten Beträge.

Ein Weihnachtsgeld für 2018 sei dem Grunde nach unstreitig geschuldet. Soweit die Beklagte sich auf eine Kürzungsmöglichkeit wegen der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers berufe, so sei eine solche nicht vereinbart.

Der Lohnabzug für den Monat Dezember 2018 aufgrund einer Neuberechnung mit einem Stundenlohn von 14,00 € sei ebenfalls unwirksam, so dass die Beklagte zur Zahlung zu verurteilen sei. Es sei klar ein Stundenlohn von zuletzt 18,05 € vereinbart worden. Aus diesem Grund seien auch die für Januar 2019 abgerechneten Vergütungsansprüche mit dem erhöhten Stundensatz nachzuentrichten.

Die Beklagte schulde zudem Lohn für April und Mai 2019. Hierzu behauptet der Kläger, er sie von der Beklagten auch im Zuge geführter Einigungsgespräche im hiesigen Rechtsstreit nach seinem Einsatz am 02.04.2019 zunächst in Urlaub geschickt und dann im Gespräch vom 08.04.2019 unter Vergütungsfortzahlung ausdrücklich freigestellt worden. Die Vergütung für Juni 2019 folge sodann auch aus dem wirksam geltend gemachten Zurückbehaltungsrecht.

Die ausgesprochene Kündigung hält der Kläger für unwirksam. Ein Kündigungsgrund bestehe nicht. Aufgrund der wirksamen und klaren Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes aufgrund der erheblichen Lohnrückstände zum Zeitpunkt des 15.06.2019 läge kein Fall des unentschuldigten Fehlens vor.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 25.06.2019, welche dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 26.06.2019 zugegangen ist, weder fristlos beendet worden ist noch zu einem späteren Zeitpunkt beendet werden wird.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an sie 14.620,62 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.025,49 € seit dem 16.12.2018, aus weiteren 875,12 € seit dem 16.02.2019, aus weiteren 518,40 € ebenfalls seit dem 16.02.2019, aus weiteren 3.188,50 € seit dem 16.05.2019 aus weiteren 4.151,50 € seit dem 16.06.2019 und aus weiteren 3.861,61 € seit dem 16.07.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die außerordentliche Kündigung für wirksam. Der Kläger habe zunächst durch sein gesamtes Verhalten deutlich gemacht, dass er eigentlich kein Interesse an seinem Arbeitsverhältnis mehr habe. Dies folge insbesondere aus den vielfachen und häufig von wechselnden Ärzten ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Die hohe Anzahl der ausstellenden Ärzte und die immer wieder erfolgte Einreichung neuer Erstbescheinigungen begründeten darüber hinaus erhebliche Zweifel an dem tatsächlichen Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Dem Kläger stünde daher grundsätzlich überhaupt kein Lohnanspruch beispielsweise für den Dezember 2018 zu, so dass er auch keine Vergütung mit einem Stundenlohn von 18,05 € verlangen könne. Der Kläger habe auch bei Berechnung mit 14,00 € Stundenlohn schon zu viel erhalten.

Die Kündigung sei zudem zu Recht erfolgt, da der Kläger unentschuldigt gefehlt habe. Bereits am 13.05.2019 habe der Kläger einen vereinbarten Gesprächstermin wegen einer angeblichen Erkrankung kurzfristig abgesagt. Er habe sodann am 08.06.2019 für einen Tag gearbeitet und sei anschließend trotz schriftlicher Mitteilung der nachfolgenden Arbeitstage nicht zur Arbeit erschienen und habe auch keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diese Tage beigebracht. Auch die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes führe nicht zu einer Entschuldigung bzw. Rechtfertigung des Fehlens des Klägers. Denn rechtlich bestehe gar kein Zurückbehaltungsrecht, da die Beklagte mangels zuvor vom Kläger im April, Mai und Juni erbrachter Arbeitsleistung kein Entgelt schulde. Eine Freistellung sei nicht schriftlich vereinbart worden.

Auch der mit der Klage geltend gemacht Anspruch auf Weihnachtsgeld für 2018 bestehe nicht. Er sei wegen einer im Betrieb geltenden und vereinbarten Kürzungsmöglichkeit aufgrund der langen Fehlzeiten des Klägers im Jahr 2018 auf null zu kürzen.

Der Kläger habe mithin mangels offener Lohnansprüche kein Zurückbehaltungsrecht. Zudem sei das Zurückbehaltungsrecht auch nicht wirksam geltend gemacht worden, da in dem entsprechenden Schreiben die angeblichen Lohnrückstände gar nicht nachvollziehbar aufgeführt worden seien. Der Kläger habe daher unentschuldigt gefehlt, was zur Wirksamkeit der Kündigung führe.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschriften zu den Gerichtsterminen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die unproblematisch zulässige Klage ist begründet.

Die Klage ist begründet. Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung vom 25.06.2019 hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand und ist unwirksam. Dem Kläger stehen zudem die zuletzt noch geltend gemachten Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu.

Im Einzelnen:

1. Die von der Beklagten unter dem 25.06.2019 ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung ist unwirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis der Parteien daher weder fristlos noch fristgerecht beendet.

Der Kläger hat die Kündigung zunächst rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Frist der §§ 4, 13 KSchG angegriffen, so dass diese nicht nach § 7 KSchG bereits aufgrund der Fristversäumung als von Anfang an wirksam gilt.

Die Kündigung ist als außerordentliche Kündigung unwirksam. Sie hält insoweit einer gerichtlichen Überprüfung an Hand des einschlägigen § 626 Abs. 1 BGB nicht stand.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.

Verhaltensbedingte Gründe bilden dabei in der Regel nur dann einen wichtigen Grund, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat, wobei allerdings auch Fahrlässigkeit ausreichen kann.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. nur: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.12.2018 – 7 Sa 186/18, Rn. 49 f., mit weiteren Nennungen; juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 25.06.2019 als unwirksam. Die Beklagte kann sich hier nicht darauf stützen, der Kläger habe unentschuldigt gefehlt, worauf mit einer Kündigung habe reagiert werden müssen.

Zwar kann unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers bzw. die damit verbundene Arbeitsverweigerung grundsätzlich einen wichtigen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grund darstellen (vgl. ErftK/Niemann, § 626 BGB, Rn. 69 f., 141). Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit beharrlich verweigert. Daher bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung wegen Arbeitsverweigerung bzw. unentschuldigtem Fehlen in der Regel einer vorherigen einschlägigen Abmahnung. Dies gilt auch im vorliegenden Fall.

Die Beklagte beruft sich hier darauf, der Kläger habe trotz Einteilung durch die Beklagte seine Arbeit nicht aufgenommen und unentschuldigt gefehlt. Mit Schreiben vom 14.06.2019 seien ihm Einsatzzeiten ab dem 18.06.2019 mitgeteilt worden, die er ohne vorherige Mitteilung nicht wahrgenommen habe.

Die Beklagte verkennt jedoch, dass sich der Kläger bereits am 15.06.2016 nachweislich des anwaltlichen Schreibens vom selben Tag auf ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung berufen hat. Der Kläger fehlte daher gerade nicht unentschuldigt. Zwar trägt die Beklagte zutreffend vor, dass dies eine Kündigung nicht ausschließt. Insbesondere trägt ein Arbeitnehmer in einer solchen Konstellation das Risiko des Nichtbestehens des Zurückbehaltungsrechtes in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht.

Der Kläger hat jedoch durch die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes klar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht grundsätzlich die Arbeitsleistung bei der Beklagten ablehnt und mithin beharrlich verweigern würde, sondern davon ausgeht, gute Gründe für sein Fernbleiben zu haben.

Es hätte daher der Beklagten oblegen, den Kläger zunächst durch eine Abmahnung darauf hinzuweisen, dass ihrer Auffassung nach kein Zurückbehaltungsrecht besteht, und dem Kläger hierbei zu verdeutlichen, dass für den Fall der weiterhin aufgrund des Zurückbehaltungsrechtes erfolgten Arbeitsverweigerung eine Kündigung droht. Nur so wäre der Kläger in der Lage gewesen sich die Risiken der Wirksamkeit des Zurückbehaltungsrechtes noch einmal vor Augen zu führen und gegebenenfalls die Arbeit wieder aufzunehmen. Selbst wenn man also die Rechtsauffassung der Beklagten zur fehlenden Wirksamkeit des Zurückbehaltungsrechtes teilen würde, so hätte es zunächst trotzdem einer vorherigen Abmahnung bedurft, um auch den Kläger letztlich hierauf unter Kündigungsandrohung hinzuweisen. Die hier jedoch direkt und unmittelbar erfolgte Kündigung erweist sich, auch unter Berücksichtigung des Vorliegens einer ausdrücklichen Arbeitsanweisung, ohne vorherige Abmahnung als unverhältnismäßig (vgl. auch LAG Hamm, Urteil vom 15.08.2018 – 3 Sa 238/18, Rn. 118 ff.; juris).

Zudem fehlt es bereits deshalb für die Tage nach dem 15.06.2019 an einer Pflichtverletzung des Klägers, da dieser sein Zurückbehaltungsrecht rechtlich zutreffend und wirksam ausgeübt hat. Hierzu wird auf die unten folgenden Ausführungen verwiesen.

Die hilfsweise ordentliche Kündigung erweist sich ebenfalls als unwirksam. Der Kläger ist bereits länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt, welche zudem regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer, ausschließlich von Auszubildenden, beschäftigt. Der Kläger genießt daher Kündigungsschutz nach dem anwendbaren Kündigungsschutzgesetz (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Es bedurfte daher nach § 1 Abs. 2 KSchG auch für die ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Kündigungsgrundes, welcher entsprechend der insoweit parallel liegenden obigen Ausführungen nicht vorlag.

2. Dem Kläger stehen zudem die mit der Klage zuletzt noch geltend gemachten Zahlungsansprüche in Höhe von insgesamt 14.620,62 € brutto zu.

a. Der Kläger hat zunächst Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 875,12 € brutto für den Monat Dezember 2018 und 518,40 € brutto für Januar 2019 aus § 611a Abs. 2 BGB. Die Ansprüche folgen aus einer Vergleichsrechnung der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung der Vergütung für die beiden Monate auf Basis eines Stundenlohns von 14,00 € brutto im Vergleich zu dem eigentlich zu zahlenden Lohn von 18,05 € brutto/Stunde.

Der Kläger hat unter Berücksichtigung der eingereichten Unterlagen, insbesondere der klaren vertraglichen Vereinbarung vom 01.02.2018 (Bl. 11. d.A.), substantiiert zum zwischen den Parteien vereinbarten Stundenlohn von 17,87 € brutto und der zum Dezember 2018 nochmals (nachweislich auch der zunächst erfolgten Lohnabrechnung) erhöhten Satz von 18,05 € brutto vorgetragen. Die Beklagte ist dieser Behauptung auch nicht entgegengetreten, sondern beruft sich auf andere Gründe für die Unbegründetheit des klägerischen Lohnanspruches.

Die Beklagte ist insoweit der Auffassung, dem Kläger stünde eigentlich für die beiden Monate gar kein Zahlungsanspruch zu. Dies folge aus der Vielzahl der vorherigen Krankschreibungen des Klägers. Denn an deren Richtigkeit sei insbesondere wegen der Vielzahl der die Arbeitsunfähigkeit attestierenden Ärzte zu zweifeln.

Dieser Argumentation folgt die Kammer nicht. Der Kläger hat – unstreitig – für die Zeiten seiner Arbeitsunfähigkeit vom 12.09.18 bis zum 23.03.2019 jeweils ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen lückenlos vorgelegt. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das für den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Ihr kommt nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ein sehr hoher Beweiswert zu, der vom Arbeitgeber zu erschüttern ist (vgl. statt Vieler: LAG Köln, Urteil vom 12.01.2018 – 4 Sa 290/17, Rn. 33; juris).

Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wird hier nicht dadurch erschüttert, dass diese von verschiedenen wechselnden Ärzten ausgestellt wurden. Dies allein kann einen Beweiswert der einzelnen Bescheinigungen nicht beeinflussen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.09.2016 – 4 Sa 409/15, Rn. 52; juris). Zudem hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, warum es zu der Ausstellung durch wechselnde Ärzte gekommen ist (vgl. die Ausführungen auf Bl. 63 ff. auf die insoweit Bezug genommen wird).

Die Beklagte war daher grundsätzlich – nachweislich der Abrechnungen von ihr ja auch zuvor unproblematisch anerkannt – verpflichtet dem Kläger für Dezember 2018 und Januar 2019 die vereinbarte Vergütung auf Basis der vereinbarten 18,05 € Stundenlohn zu zahlen.

b. Dem Kläger steht zudem ein Anspruch auf Vergütung für den Monat April 2019 in Höhe von 3.188,50 € brutto zu. Der Anspruch folgt aus §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB bzw. §§ 1, 3, 11 BurlG.

Die Beklagte hat zunächst die vom Kläger zutreffend berechnete Vergütung für die Zeit vom 02.04.2019 bis zum 04.04.2019 nach Maßgabe der oben zitierten Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes zu zahlen. Die Beklagte selbst hat im Laufe des Rechtstreites zugegeben, dass dem Kläger in diesem Zeitraum nach erfolgter Genesung zunächst Urlaub gewährt wurde.

Der Anspruch auf Vergütung für die Zeit ab dem 08.04.2019 folgt aus § 615 Satz 1 BGB. Die Beklagte hat den Kläger im Gespräch vom 08.04.2019 bis auf weiteres freigestellt und damit klargestellt, an einem Angebot der Arbeitsleistung des Klägers nicht interessiert zu sein. Sie hat dem Kläger daher keine Arbeit zugewiesen und befand sich mithin nach § 615 BGB in Annahmeverzug, was eine entsprechende Vergütungspflicht auslöst. Der detaillierten Darlegung der erfolgten Freistellungserklärung durch den Kläger ist die Beklagte inhaltlich nicht entgegengetreten, so dass diese als zugestanden zu werten ist, § 138 Abs. 3 ZPO. Die Beklagte beruft sich lediglich darauf, die Freistellung sei nicht schriftlich erfolgt. Die Schriftform ist jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die erfolgte Freistellung. Auch die außergerichtlichen Schreiben der Prozessbevollmächtigten lassen einen klaren Schluss auf die erfolgte Freistellung zu. Sollte keine solche Freistellung erfolgt sein, so wäre es nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 05.06.2019 (Bl. 78 d.A.), beispielsweise den Kläger zur Wiederaufnahme der Arbeit aufforderte.

c. Aus demselben rechtlichen Grund ist die Beklagte verpflichtet dem Kläger die von diesem zutreffend berechnete Vergütung in Höhe von 4.151,50 € brutto für den Monat Mai 2019 zu zahlen. Insoweit ist der gesamte Monat Mai 2019 von der Freistellung umfasst.

d. Auch für den Monat Juni 2019 war die Beklagte zur Zahlung der vom Kläger geltend gemachten Vergütung in Höhe von 3.861,61 € brutto verpflichtet.

Soweit der Kläger am 08.06.2019 seine Arbeitsleistung erbracht hat folgt der Anspruch direkt aus § 611a Abs. 2 BGB.

Für den übrigen Zeitraum bis zum 15.06.2019 folgt der Anspruch erneut aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach § 615 Satz 1 BGB aufgrund der erfolgten Freistellung und der Nichtzurverfügungstellung eines Arbeitsplatzes durch die Beklagte.

Bezüglich der restlichen Vergütung für den Juni 2019 folgt der Anspruch zudem aus dem vom Kläger wirksam geltend gemachten Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB in Verbindung mit §§ 615, 298 BGB).

Nach § 273 Abs. 1 BGB kann der Schuldner, der aus demselben Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat – sofern sich aus dem Schuldverhältnis nicht ein anderes ergibt -, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird.

Ein Arbeitnehmer kann das Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB ausüben, wenn der Arbeitgeber den fälligen Vergütungsanspruch nicht erfüllt. Er ist dann nicht mehr nach § 614 BGB zur Vorleistung verpflichtet. Er muss vielmehr erst dann (wieder) seine Arbeit leisten, wenn der Arbeitgeber die rückständige Gegenleistung erbringt, indem er das rückständige Entgelt zahlt. Solange der Arbeitnehmer sein Zurückbehaltungsrecht wirksam ausübt, endet der Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht. Das ergibt sich aus § 298 BGB, der für alle Fälle des Zurückbehaltungsrechts und damit auch für § 273 BGB gilt (BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 6 AZR 246/12, Rn. 17; juris). Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vor Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes unter Angabe des entsprechenden Grundes klar und eindeutig mitteilt, er werde sein Zurückbehaltungsrecht aufgrund ganz bestimmter konkret bezeichneter Gegenforderungen ausüben (vgl. Lag Hamm, Urteil vom 15.11.2012 – 5 Sa 239/12, Rn. 54; juris).

Dem Kläger standen hier die oben unter 2 a bis c aufgeführten Lohnansprüche zu, welche die Beklagte zum Zeitpunkt des ausgeübten Zurückbehaltungsrechtes trotz Fälligkeit nicht erfüllt hat. Diese Ansprüche waren auch berechtigt. Sie wurden vom Kläger im Schreiben vom 15.06.2019 konkret und nachvollziehbar bezeichnet. Die Lohnrückstände waren auch erheblich, so dass sich die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes auch nicht als unverhältnismäßig erweist.

e. Die Beklagte ist zudem verpflichtet dem Kläger das geltend gemachte Weihnachtsgeld für das Jahr 2018 in Höhe von 2.025,49 € brutto zu zahlen. Der Anspruch folgt aus § 611a Abs. 2 BGB aufgrund der unstreitigen arbeitsvertraglichen Vereinbarung über die Zahlung eines 13. Gehaltes vom 01.02.2018.

Die Beklagte hat insoweit nicht hinreichend substantiiert zu der von ihr behaupteten betrieblichen Regelung vorgetragen, wonach ein Anspruch bei langandauernder Erkrankung entfallen soll. Es ist nicht ersichtlich welche betriebliche Regelung oder Vereinbarung hier der eindeutigen vertraglichen Vereinbarung entgegenstehen soll. Auch unter Berücksichtigung von § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz kann hier daher kein Entfall einer Zahlungsverpflichtung der Beklagten angenommen werden.

f. Die Zinsansprüche folgen aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO im Urteil festzusetzen.

 

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