Eine Buchhalterin hat vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht eine fristlose Kündigung abgewendet und erhält damit ihre ausstehenden Gehälter und eine Abfindung von 15.000 Euro brutto. Zudem muss ihr Arbeitgeber ihr ein qualifiziertes Zeugnis ausstellen.
→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 147/22
Übersicht:
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Die fristlose Kündigung durch die Beklagte wurde als unwirksam angesehen, da kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorlag.
- Der Vergleich zwischen den Parteien blieb rechtswirksam, sodass das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2020 endete.
- Die Beklagte muss die ausstehenden Gehälter für die Monate Mai bis August 2020 sowie die vereinbarte Abfindung an die Klägerin zahlen.
- Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin ein endgültiges qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.
- Die Abmahnung gegenüber der Klägerin wurde als unbegründet angesehen.
- Der Vorwurf der Löschung des E-Mail-Postfachs durch die Klägerin konnte nicht zweifelsfrei bewiesen werden.
- Mögliche Pflichtverletzungen wie fehlerhafte Steuererklärungen oder Verstöße gegen das Vier-Augen-Prinzip reichten nicht für eine fristlose Kündigung aus.
- Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der ausstehenden Vergütungen und der vereinbarten Abfindung.
Fristlose Kündigung: Arbeitgeber scheitert vor Gericht – Was Sie wissen müssen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen in einem besonderen Vertrauensverhältnis. Dieses Verhältnis kann jedoch belastet werden, wenn es zu Unstimmigkeiten oder Vertragsverletzungen kommt. In solchen Fällen sind die rechtlichen Konsequenzen oft komplex und erfordern eine sorgfältige Prüfung.
Ein wichtiger Aspekt im Arbeitsrecht ist die fristlose Kündigung. Wann ein Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Häufig geht es um schwerwiegende Pflichtverletzungen seitens des Arbeitnehmers, die ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen.
Im Folgenden wird ein konkreter Fall vorgestellt, in dem ein Arbeitgeber die fristlose Kündigung ausgesprochen hat. Das Gericht musste beurteilen, ob die Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorlagen oder ob das Arbeitsverhältnis auf andere Weise beendet wurde.
Der Fall vor dem Thüringer Landesarbeitsgericht im Detail
Fristlose Kündigung und Vergleich: Buchhalterin siegt vor Gericht
Der Fall dreht sich um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die eine Buchhalterin im Bereich Insolvenzbuchhaltung erhalten hatte. Die Klägerin war seit Dezember 2019 bei der Beklagten beschäftigt. Im März 2020 erhielt sie eine ordentliche Kündigung zum 31.08.2020 und arbeitete ab April 2020 im Homeoffice. Im Mai 2020 kam es dann zu Unstimmigkeiten, die letztendlich zur fristlosen Kündigung führten.
Die Beklagte warf der Klägerin vor, ihr gesamtes E-Mail-Postfach gelöscht zu haben, was einen schwerwiegenden Vertrauensbruch darstelle. Zudem wurden der Klägerin weitere Pflichtverletzungen vorgeworfen, darunter fehlerhafte Umsatzsteuererklärungen, Falschbuchungen und Verstöße gegen das Vier-Augen-Prinzip. Die Klägerin bestritt die Vorwürfe und argumentierte, dass kein Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege.
Kompliziert wurde der Fall durch einen zwischen den Parteien bereits im Mai 2020 geschlossenen Vergleich. Dieser sah die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2020, die Freistellung der Klägerin von der Arbeitspflicht, die Anrechnung von Resturlaub, die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 15.000 Euro brutto sowie die Erteilung eines qualifizierten Zwischen- und Endzeugnisses vor. Da die Beklagte die fristlose Kündigung aussprach, stand die Wirksamkeit des Vergleichs ebenfalls zur Debatte.
Gericht erklärt fristlose Kündigung für unwirksam
Das Thüringer Landesarbeitsgericht (Az.: 5 Sa 147/22) entschied zugunsten der Klägerin. Die fristlose Kündigung wurde für unwirksam erklärt, da kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorlag.
Das Gericht sah es als nicht erwiesen an, dass die Klägerin die Löschung des E-Mail-Postfachs selbst vorgenommen hatte. Der Vortrag der Beklagten dazu sei widersprüchlich und es fehle ein schlüssiger Beweis. Auch die weiteren vorgeworfenen Pflichtverletzungen reichten nach Ansicht des Gerichts nicht für eine fristlose Kündigung aus.
Da die fristlose Kündigung unwirksam war, blieb der Vergleich zwischen den Parteien gültig. Dies bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2020 endete und die Klägerin Anspruch auf die Zahlung der ausstehenden Gehälter für Mai bis August 2020 sowie auf die vereinbarte Abfindung hat.
Buchhalterin erhält ausstehende Gehälter und Abfindung
Das Gericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung der ausstehenden Vergütung für die Monate Mai bis August 2020 sowie zur Zahlung der im Vergleich vereinbarten Abfindung in Höhe von 15.000 Euro brutto. Die Klägerin hat somit Anspruch auf die volle finanzielle Kompensation gemäß dem geschlossenen Vergleich.
Anspruch auf Zeugniserteilung bestätigt
Die Beklagte ist außerdem verpflichtet, der Klägerin ein endgültiges qualifiziertes Zeugnis zu erteilen. Dieser Anspruch wurde bereits vom Arbeitsgericht Erfurt in erster Instanz festgestellt und von der Berufung nicht angegriffen, weshalb er rechtskräftig ist.
✔ FAQ zum Thema: Fristlose Kündigung
Welche Bedeutung hat ein Vergleich im Kontext einer Kündigung?
Ein Vergleich im Kontext einer Kündigung ist ein Vertrag nach § 779 BGB, durch den der Streit der Parteien über das Arbeitsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Solche Vergleiche werden oft vor den Arbeitsgerichten geschlossen und regeln typischerweise die Zahlung einer Abfindung als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.
Zu einem Vergleich kommt es häufig, nachdem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gekündigt hat und der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erhoben hat. Im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht, der meist 4-6 Wochen nach Klageerhebung stattfindet, einigen sich die Parteien dann oft auf einen Vergleich.
Ein Vergleich hat für beide Seiten Vorteile: Der Arbeitnehmer erhält oft eine Abfindung, obwohl kein gesetzlicher Anspruch darauf besteht. Der Arbeitgeber vermeidet ein langwieriges Verfahren mit dem Risiko hoher Lohnnachzahlungen, falls die Kündigung unwirksam war. Zudem ist das persönliche Verhältnis nach einem Vergleich meist besser als nach einem Urteil.
In einem Vergleich können die Parteien grundsätzlich alles regeln, auch Dinge die nicht Gegenstand der Klage sind. Typische Regelungen betreffen den Beendigungszeitpunkt, die Abfindungshöhe, Freistellung, Urlaubsansprüche, Zeugniserteilung etc.
Ein gerichtlicher Vergleich beendet den Rechtsstreit endgültig und ist wie ein Urteil vollstreckbar. Er kann nur in seltenen Ausnahmefällen angefochten werden.
Was sind die Folgen einer unwirksamen fristlosen Kündigung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
Eine unwirksame fristlose Kündigung hat für Arbeitnehmer und Arbeitgeber weitreichende rechtliche und finanzielle Konsequenzen.
Wenn ein Arbeitsgericht entscheidet, dass die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters unwirksam war, besteht das Arbeitsverhältnis unverändert fort. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, den Lohn für die Zeit seit der Kündigung nachzuzahlen, den sogenannten Annahmeverzugslohn. Dieser Anspruch entfällt nur, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit nachweislich nicht arbeitsfähig oder -willig war.
Zudem können dem Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber zustehen, wenn ihm durch die unrechtmäßige fristlose Kündigung ein finanzieller Schaden entstanden ist, zum Beispiel durch Umzugskosten, Maklergebühren für eine Ersatzwohnung oder den Verlust des Arbeitsplatzes. Die genaue Höhe muss im Einzelfall geprüft werden.
Der Arbeitnehmer hat nach einer unwirksamen fristlosen Kündigung in der Regel auch Anspruch auf Arbeitslosengeld, da er das Arbeitsverhältnis nicht selbst beendet hat. Allerdings muss er den wichtigen Grund für die Kündigung gegenüber der Arbeitsagentur nachweisen, um eine Sperrzeit zu vermeiden.
Für den Arbeitgeber bedeutet eine unwirksame fristlose Kündigung, dass er den Arbeitnehmer weiter beschäftigen und bezahlen muss, obwohl das Vertrauensverhältnis meist zerrüttet ist. Zudem drohen Schadensersatzforderungen und Prozesskosten.
Um dies zu vermeiden, ist es für Arbeitgeber wichtig, vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung sorgfältig zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes tatsächlich vorliegen. Auch die Zwei-Wochen-Frist ab Kenntnis des Kündigungsgrundes muss eingehalten werden. Formale Fehler wie eine fehlende Anhörung des Betriebsrats können die Kündigung ebenfalls unwirksam machen.
Welche Rechte hat ein Arbeitnehmer bei einer unrechtmäßigen Kündigung hinsichtlich der Zeugniserteilung?
Auch bei einer unrechtmäßigen Kündigung hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein qualifiziertes, wohlwollendes Arbeitszeugnis. Das ergibt sich aus dem Grundsatz, dass das Zeugnis das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht ungerechtfertigt erschweren darf.
Das vom Arbeitgeber geschuldete Wohlwollen macht es erforderlich, die unwirksame Kündigung und ein etwaiges Kündigungsschutzverfahren im Zeugnis unerwähnt zu lassen. Der Arbeitgeber darf die Tatsache der Kündigung nicht direkt im Zeugnis erwähnen, auch wenn diese rechtskräftig als unwirksam festgestellt wurde.
Allerdings kann der Arbeitgeber die fristlose Kündigung indirekt durch Angabe des ungewöhnlichen Beendigungsdatums zum Ausdruck bringen. Ein interessierter neuer Arbeitgeber wird an dem Beendigungsdatum Anstoß nehmen und sich beim Vorarbeitgeber rückversichern.
Unter Berücksichtigung des Wahrheits- und Wohlwollensgrundsatzes darf der Entlassungsgrund, der zur außerordentlichen Kündigung führte, im Zeugnis angeführt werden, wenn die dienstliche Verfehlung erheblich war. Nicht zu erwähnen und wegen des angegebenen Kündigungsgrunds auch überflüssig ist der zusätzliche Hinweis, dass eine fristlose Kündigung erfolgte.
Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch darauf, dass das Zeugnis nach einer unwirksamen Kündigung entsprechend ausgebessert wird, wenn es falsche Punkte enthält oder Wesentliches fehlt. Dafür hat er 5-15 Monate Zeit. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, kann der Arbeitnehmer sein Recht gerichtlich durchsetzen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 626 BGB – Außerordentliche Kündigung: Besagt, dass ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann. Im vorliegenden Fall argumentierte der Arbeitgeber, dass die unrechtmäßige Löschung des E-Mail-Postfachs einen solchen wichtigen Grund darstellt. Das Gericht befand jedoch, dass kein hinreichender Beweis für ein solches Verhalten der Klägerin vorlag.
- § 278 Abs. 6 ZPO – Vergleichsprotokoll: Diese Vorschrift ermöglicht es, einen Vergleich gerichtlich zu protokollieren. Im Fall wurde erwähnt, dass ein Vergleich zwischen den Parteien zustande kam, aber kein Protokoll nach § 278 Abs. 6 ZPO angefertigt wurde. Dies hat Relevanz für die Gültigkeit des Vergleichs und dessen Durchsetzung.
- § 611 BGB – Arbeitsvertrag: Grundlage für das Arbeitsverhältnis, welches bestimmte Pflichten und Rechte für Arbeitgeber und Arbeitnehmer festlegt. Im Kontext wurde auf die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag und deren angebliche Verletzung eingegangen, was zur außerordentlichen Kündigung führte.
- Basiszinssatz und Verzugszinsen: Die Anwendung von Zinsen auf ausstehende Gehälter basiert auf dem Basiszinssatz nach § 247 BGB. Im Urteil wurden Zinsen auf ausstehende Zahlungen angeordnet, um die finanzielle Benachteiligung der Klägerin durch die verspätete Zahlung auszugleichen.
- Datenschutzgesetze (DSGVO): In Bezug auf die Behauptung der unrechtmäßigen Löschung von E-Mails und der Datenwiederherstellung könnten Datenschutzaspekte relevant sein, insbesondere im Umgang mit persönlichen Daten und der Sicherheit von Informationssystemen im Arbeitskontext.
➜ Das vorliegende Urteil vom Thüringer Landesarbeitsgericht
Thüringer Landesarbeitsgericht – Az.: 5 Sa 147/22 – Urteil vom 26.10.2023
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 12.11.2021, Az.: 2 Ca 707/20, abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2020 zum 22.05.2020 aufgelöst wurde.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 693,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zu zahlen (Gehalt Mai 2020).
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen (Gehalt Juni 2020).
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 zu zahlen (Gehalt Juli 2020).
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen (Gehalt August 2020).
6. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen (Abfindung).
7. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
8. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte. Die Kosten der ersten Instanz tragen die Beklagte zu 13/14 und die Klägerin zu 1/14.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die Entfernung einer Abmahnung sowie Ansprüche aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich.
Die Klägerin war aufgrund des Arbeitsvertrages vom 19.12.2019 (Bl. 8 ff. d. A.) seit dem 19.12.2019 bei der Beklagten als Buchhalterin im Bereich Insolvenzbuchhaltung beschäftigt. Die Klägerin war zuvor vom 01.05.2005 bis zum 18.12.2019 bei der …… tätig. Ihre Betriebszugehörigkeit wurde mitübernommen. Die monatliche Bruttovergütung der Klägerin betrug 2.600,00 €.
Mit Schreiben vom 24.03.2020 kündigte die Beklagte der Klägerin das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.08.2020. Ab 23.04.2020 arbeitete die Klägerin mit der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Technik (Rechner nebst Tastatur, zwei Bildschirmen und Telefon) von zu Hause aus. Mit E-Mail vom 13.05.2020 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung. Hierin monierte sie, dass die Klägerin im Rahmen der Buchhaltung eines Kunden die in den Datenraum eingestellte Daten nicht zeitgerecht bearbeitet habe und setzte ihr für die Aufarbeitung der Buchhaltung eine Frist bis zum 15.05.2020. Auf den Inhalt der Abmahnung wird Bezug genommen (Bl. 40 d. A.).
Mit E-Mail vom 15.05.2020 unterbreitete der Klägervertreter der Beklagten einen Vergleichsvorschlag zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits. Diesen nahm die Beklagte mit E-Mail vom gleichen Tag an und bat den Klägervertreter die gerichtliche Protokollierung zu veranlassen. Mit Schriftsatz vom 18.05.2020 teilte der Kläger dem Gericht das Zustandekommen einer gütlichen Einigung mit und bat um einen Beschluss gem. § 278 Abs. 6 ZPO. Im Vergleich einigten sich die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2020 enden und die Klägerin mit sofortiger Wirkung von ihrer Arbeitsverpflichtung unter Anrechnung von Resturlaub unwiderruflich freigestellt werden sollte. Ein etwaiger Zwischenverdienst sollte angerechnet werden. Weiterhin wurde für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung von 15.000,00 € brutto sowie die Verpflichtung der Beklagten, ein qualifiziertes Zwischenzeugnis und zum Beendigungstermin ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, vereinbart. Im Übrigen wird auf den Vergleichstext Bezug genommen (Bl. 56 f. d. A.). Ein Beschluss gem. § 278 Abs. 6 ZPO über den Abschluss eines Vergleiches kam nicht zustande. Vielmehr kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20.05.2020, welches der Klägerin am 22.05.2020 zuging, außerordentlich. Am 20.05.2020 wandte sich die Beklagte an die Klägervertreterin per E-Mail. Darin teilte sie mit, dass sie nach Rückgabe des Rechners der Klägerin habe feststellen müssen, dass die Klägerin das gesamte E-Mail-Postfach widerrechtlich gelöscht habe. Die Kosten der Datenwiederherstellung würde der Klägerin in Rechnung gestellt werden (Bl. 77 d. A.).
Daraufhin hat die Klägerin die Klage erweitert und Kündigungsschutzklage im Hinblick auf die fristlose Kündigung vom 20.05.2020 erhoben. Zudem hat sie die Zahlung der restlichen Vergütung für die Monate Mai bis August 2020 sowie die Zahlung der im Vergleich vereinbarten Abfindung in Höhe von 15.000,00 €, die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und hilfsweise eines endgültigen Zeugnisses begehrt. Weiterhin hat sie sich gegen die ordentliche Kündigung vom 24.03.2020 sowie die Abmahnung vom 30.05.2020 gewandt. Sie ist der Auffassung, dass kein Grund für die außerordentliche Kündigung nicht vorliege. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei zumutbar, da die Parteien sich bereits unter Freistellung von der Arbeitsleistung auf eine Beendigung geeinigt hätten. Die Klägerin habe die Löschung des E-Mail-Posteingangs nicht vorgenommen, sie habe auch keinen Grund dafür gehabt. Eingehende E-Mails habe sie nicht in den Papierkorb verschoben, sondern in die von ihr erstellten Ordner. Am 19.05.2020 um 12:47 Uhr habe sie ein Foto von der laufenden Technik gemacht, sodann das Arbeitsmaterial verpackt und danach keinen Zugriff mehr darauf gehabt. Die Arbeitsmaterialien seien um 17:00 Uhr an Frau …… übergeben worden. Die Klägerin habe von der regelmäßigen Datensicherung gewusst bzw. sei davon ausgegangen. Im Betrieb der Beklagten werde mit dem Programm LEXolution gearbeitet. Dort würden Aufgaben verteilt und ausgeführt. Aufgaben und Informationen per E-Mail würden ebenfalls in das Programm eingepflegt und könnten bei Löschung des E-Mail-Postfaches nicht verloren gehen. Die Klägerin habe keine fehlerhaften Steuererklärungen abgegeben, in jedem Fall nicht absichtlich. Die Steuererklärungen seien dem jeweiligen Sachbearbeiter zur Prüfung vorgelegt worden. Ein Verstoß gegen das Vier-Augen-Prinzip läge nicht vor, die Umsatzsteuervoranmeldungen seien stets zusammen mit dem jeweiligen Report dem Sachbearbeiter mit der Bitte um Prüfung vorgelegt worden. In allen vorgeworfenen Fällen sei es zu keinem Schaden gekommen.
Die Beklagte hat sich gegen das Klagebegehren gewandt und vorgetragen, die Klägerin habe die Bürotechnik am 19.05.2020 zurückgegeben. Nach Abholung sei der Rechner der Klägerin wie üblich kontrolliert worden. Dabei hätten die Mitarbeiterin Frau …… sowie der für die Rechner zuständige IT-Administrator, Herr ….., feststellen müssen, dass im Postfach der Klägerin keine Daten, insbesondere auch keine E-Mails mehr vorhanden gewesen seien. Herr ….. habe feststellen müssen, dass die Klägerin pflichtwidrig im Postfach Ihre E-Mails gelöscht habe. Insbesondere seien auch auf den Exchange-Server, d. h. dem Mailserver, keine Mails mehr vorhanden, auch nicht im Papierkorb. Die Beklagte habe im 1. Quartal 2020 ein zusätzliches Sicherheitsprogramm Mailstore angeschafft und installiert. Dieses Programm sichere auch Mails, welche auf dem Mailserver gelöscht würden. Herrn ….. sei es auf diese Weise mit erheblichem technischem Aufwand möglich gewesen, die Löschung festzustellen und zumindest einen Teil wiederherzustellen. Hergestellt worden sei ein gesamtes gelöschtes Ordnungssystem mit Unterordnern und E-Mails. Dieser Vorfall sei umgehend der Beklagten gemeldet worden, welche sich daher noch am 20.05.2020 entschieden habe, das Anstellungsverhältnis der Klägerin fristlos zu kündigen.
Im Nachgang seien weitere erhebliche Pflichtverstöße der Klägerin bekannt geworden, welche ebenfalls die sofortige fristlose Kündigung der Klägerin rechtfertigen würden. So habe sie in mehreren Fällen eine falsche Umsatzsteuererklärung abgegeben. Die Klägerin habe beim Mandanten R.G. unter dem 12.05.2020 eine Nullerklärung abgegeben. Tatsächlich hätte sich für diesen Mandanten laut Prüfung durch Frau …… eine Erstattungsforderung von 256,16 € ergeben. Die Abgabe einer Nullerklärung in einem Fall, in welchem offenkundig Buchungen vorhanden seien, stelle eine vorsätzliche Nichtleistung dar. Die Beklagte hafte für den der Insolvenzmasse entstanden Schaden. Dies gelte erst recht in Fällen, in welchen statt der Nullerklärung der Klägerin tatsächlich eine Umsatzsteuerzahlung geschuldet sei. So betreffe dies beispielsweise den Fall des Herrn …., der statt der Abgabe einer Nullmeldung eine Umsatzsteuerzahlung i.H.v. 246,53 € hätte leisten müssen. Dies falle der Beklagten zur Last. Es bestünde die Gefahr, dass der Beklagten Umsatzsteuerbetrug vorgeworfen werde. Im Falle der G.B. GmbH seien 106 Kennzahlen zu verbuchen gewesen, welche die Klägerin übergangen habe. Verwertbare Unterlagen fehlten, weshalb komplett neue Buchungen haben vorgenommen werden müssen. In Sachen …… habe die Klägerin unter dem 12.03.2020 eine Umsatzsteuererstattung von 403,39 € gemeldet, wohingegen bei ordnungsgemäßer Buchung eine Nachzahlung von 2.884,33 € zu melden gewesen wäre. Auch hier habe sich die Beklagte des Vorwurfes der Steuerhinterziehung ausgesetzt gesehen. Anhand der vorhandenen Schriftstücke könne weiter nachvollzogen werden, dass offenbar auch Unterlagen in Sachen Stadt E. und …… gelöscht worden seien, die nicht mehr wiederhergestellt werden konnten. Kontoauszüge der Sparkasse zum Vorgang …… vom 02.05.2020 seien nicht gebucht worden. Zudem habe die Klägerin das Vier-Augen-Prinzip nicht beachtet trotz entsprechender Hinweise von Frau …… beispielsweise mit E-Mails vom 08.05.2020.
Die Beklagte könne es sich nicht leisten, dass bekannt werde, dass sie eine Buchhalterin beschäftige, welche Daten lösche, Buchungen unterlasse und falsche Umsatzsteuererklärungen abgebe. Trotz Freistellung käme es zu einer Rufschädigung. Im Übrigen liege eine Straftat nach § 303 a StGB vor. Nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses sei kein Raum für eine Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Die fristlose Kündigung sei wirksam, weshalb der weitere Kündigungsschutzantrag unbegründet sei. Für die Zahlung der Abfindung sei aufgrund der vorzeitigen fristlosen Beendigung des Anstellungsverhältnisses die Geschäftsgrundlage entfallen. Für ein Zwischenzeugnis bestünde kein Raum mehr, da das Anstellungsverhältnis nach dem Vortrag der Klägerin auf jeden Fall beendet worden sei.
Das Arbeitsgericht Erfurt hat im Rahmen der Beweisaufnahme die Zeugin Frau ….. und Herr …… im Kammertermin am 01.10.2021 vernommen. Hierin hat der Zeuge ….. u. a. ausgesagt, dass das E-Mail-Konto der Klägerin passwortgeschützt sei. Er habe das Passwort zurückgesetzt. Aus dem Papierkorb gelöschte E-Mails lägen noch 30 Tage auf dem Server. Der Server sei leer gewesen. Aus dem E-Mail-Archiv habe er die Unterordner mit allen Inhalten wiederhergestellt. Jede eingehende E-Mail werde zunächst in einem E-Mail-Archiv gespeichert und dann zum Nutzer weitergeleitet werde. Was der Nutzer dann mit der Mail mache, sei dem Mail-Archiv eigentlich egal, weil die Mail darin abgelegt sei. Er habe sich den PC der Klägerin im letzten Juni angeschaut. In Krankheitszeiten der Klägerin sei es möglich, dass neu eingehende E-Mails an Frau …… weitergeleitet werden könnten. Er könne sich nicht mehr genau daran erinnern. Es sei möglich, eine Stellvertreterfunktion einzuräumen. Der Stellvertreter könne nicht das Outlook der Klägerin sehen. Dieser bekomme nur diese E-Mail in Kopie.
Die Zeugin ……… hat im Rahmen der Beweisaufnahme u. a. ausgesagt, dass Herr …….. mit der Überprüfung am 28. Mai beauftragt worden sei. Herr …….. habe ihr die neu eingehenden E-Mails freigeschaltet. Sie habe kein Passwort von der Klägerin gehabt, dies sei auch datenschutzrechtlich nicht zulässig.
Zum weiteren Inhalt der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 01.10.2021 (Bl. 222 ff. d. A.).
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beweisaufnahme keinen Beweis erbracht habe, dass die Klägerin Daten gelöscht habe, wohl nur, dass Daten gelöscht worden seien. Die Überprüfung des E-Mail-Postfaches der Klägerin sei wohl erst nach der Kündigung erfolgt. Herr ……… habe die Diskrepanz zwischen Postfach und E-Mail-Archiv feststellen können. Somit handele es sich nur um eine Verdachtskündigung.
Die Klägerin hat beantragt,
1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2020 zum 22.05.2020 aufgelöst wurde.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch Vergleich vom 15.05.2020 bis zum 31.08. 2020 aufgelöst wurde.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 693,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zu bezahlen (Gehalt Mai).
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen (Gehalt Juni).
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 zu zahlen (Gehalt Juli).
6. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen (Gehalt August).
7. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen (Abfindung).
8. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein schriftliches qualifiziertes Zwischenzeugnis mit einer mindestens „guten“ Leistungs- und Führungsbewertung zu erteilen.
Hilfsweise hat die Klägerin für den Fall, dass der Feststellungsantrag zu 2. abgewiesen wird, folgende Anträge gestellt:
9. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die ordentliche Kündigung vom 24.03.2020 zum 31.08.2020 beendet wurde, sondern fortbesteht.
10. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 30.05.2020 zu widerrufen und aus der Personalakte zu entfernen.
Hilfsweise hat die Klägerin für den Fall, dass der Feststellungsantrag zu Ziffer 9 abgewiesen wird, beantragt:
11. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass durch die Beweisaufnahme die Löschung des gesamten Mail-Ordners einschließlich Unterordnern durch die Klägerin bestätigt worden sei. Nach Aussage des alleinigen Administrators, Herrn ………, habe neben der Klägerin nur er als Administrator Zugriff auf das E-Mail-Konto der Klägerin gehabt. Daher habe nur die Klägerin die Löschung vornehmen können. Die Löschung der Daten sei grundsätzlich eine Straftat. Die Beklagte sei ein Organ der Rechtspflege. Die gelöschten Mails seien Bestandteil der Mandantenakten und Bestandteil der Insolvenzakten.
Mit Urteil vom 12.11.2021 hat das Arbeitsgericht in Erfurt die Beklagte verurteilt, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die erste Instanz hat ausgeführt, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund gemäß § 626 Abs. 1 BGB habe vorgelegen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stünde zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin vor Rückgabe ihres Dienstrechners an die Beklagte sogenannte Mandantenordner gelöscht habe. Nach den Erläuterungen des Zeugen ………. habe der Löschvorgang bezogen auf die Überprüfung des Rechners durch den Zeugen mehr als 30 Tage zurück gelegen haben müssen. Gelöschte Ordner bzw. Unterordner und E-Mails würden noch 30 Tage auf dem Server existieren, selbst wenn sie gelöscht worden seien und der Papierkorb ebenfalls geleert worden sei. Da sich die im E-Mail-Archiv aufgefunden Ordner und Unterordner nicht mehr auf dem Server befunden hätten, ließe dies nur die Schlussfolgerung zu, dass die Löschung mindestens 30 Tage vor der Kontrolle durch den Zeugen ………. erfolgt sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Rechner bei der Klägerin zu Hause befunden, da die Klägerin im Homeoffice gearbeitet habe. Außer der Klägerin hätte demnach zu diesem Zeitpunkt niemand Zugriff auf den Rechner gehabt, ganz besonders kein Mitarbeiter der Beklagten. Dies lasse nur den Schluss zu, dass es die Klägerin war, die Ende April 2020 die Mandanten-Ordner und Unterordner gelöscht habe. Es werde von der Klägerin auch nicht eingewandt, dass eine andere Person Kenntnis von ihrem Passwort gehabt hätte und auf den Rechner hätte Zugriff nehmen können. Entsprechende Administratorrechte habe zwar der Administrator. Jedoch sei für das Gericht keinerlei Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass und aus welchem Grunde dieser auf den Rechner der Klägerin hätte Zugriff nehmen sollen, um Fälschungen vorzunehmen. Die Löschung der Mandantenordner sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies stelle einen besonders schwerwiegenden Vertragsverstoß dar. Daher sei es der Beklagten nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Im Rahmen der Interessenabwägung spräche auch nicht zugunsten der Klägerin die Installation des zusätzlichen Sicherheitsprogrammes im 1. Quartal 2020. Die Klägerin habe nicht darauf vertrauen können, dass gelöschte Ordner und Unterordner zuverlässig rekonstruierbar seien. Zugunsten der Klägerin sei auch nicht zu berücksichtigen, dass die Parteien im Vergleich eine Freistellung der Klägerin bis zum 31.08.2020 vereinbart hätten. Zwar habe der Zeuge …… die Überprüfung des Nutzerkontos der Klägerin erst am 28.05.2020 vorgenommen. Erst zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte gewusst, was der Zeuge festgestellt habe. Es sei dem Arbeitgeber allerdings nicht verwehrt, eine Tatkündigung auszusprechen, ohne den Tatvorwurf zuvor aufgeklärt zu haben. Die Beklagte sei bereits bei Ausspruch der Kündigung am 20.05.2020 davon überzeugt gewesen, dass die Klägerin auf ihrem Dienstrechner Löschungen vorgenommen habe.
Da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.05.2020 beendet worden sei, habe es nicht durch Vergleich vom 15.05.2020 zum 31.08. 2020 geendet. Der Antrag zu 2. sei deshalb ebenfalls abzuweisen gewesen. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 22.05.2020 stünde der Klägerin auch keine Vergütung für den Zeitraum bis zum 31.08.2020 und auch nicht die vereinbarte Abfindung zu. Nachdem das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung beendet worden sei, stünde der Klägerin kein Zwischenzeugnis, sondern ein Endzeugnis zu. Der Antrag zu Ziffer 9 war abzuweisen, da das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2020 geendet habe. Ebenso bestünde kein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Somit sei letztlich nur dem Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses stattzugeben gewesen.
Gegen dass der Klägerin am 19.02.2022 zugestellte Urteil hat diese mit bei Gericht am 01.03.2022 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 13.05.2022 mit Schriftsatz vom 12.05.2022 begründet. Sie rügt, dass für die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 20.05.2020 weder ein Sachverhalt vorliege, der an sich einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darstelle, noch dass die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten spräche. Der Beklagten sei es zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder vereinbarten Beendigung fortzusetzen. Die Klägerin habe keine E-Mails bzw. Ordner pflichtwidrig gelöscht. Durch die Beweisaufnahme sei nicht festgestellt worden, dass die Klägerin E-Mails, Ordner und Unterordner oder das gesamte Outlook-Postfach gelöscht habe. Lediglich die Tatsache, dass E-Mails und Ordner gelöscht worden seien, habe festgestellt werden können. Wer diese Löschung vorgenommen habe, könne nicht mit Sicherheit geklärt werden. Der Rückschluss der Vorinstanz, dass es nur die Klägerin gewesen sein könnte, sei fehlerhaft. Vielmehr könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Personen Zugriff auf den Rechner der Klägerin hatten bzw. die E-Mails und Ordner nach Abgabe der Arbeitsmittel am 19.05.2020 gelöscht worden seien. Die Klägerin habe kein Interesse an der Löschung der Daten gehabt. Es bestehe auch kein Grund dafür. Der Beklagten sei auch keinerlei Schaden entstanden, da alle Daten haben wiederhergestellt werden können. Die Beklagte habe sich wohl von der finanziellen Verpflichtung aus dem Vergleich lossagen wollen. Nach wie vor sei der Tag der Löschung nicht erforscht. Die Rückrechnung der Speicherzeit sei nicht möglich, da gar nicht klar sei, wann die Überprüfung des E-Mail-Postfaches der Klägerin erfolgt sei. Der Vortrag der Beklagten sei widersprüchlich. In der E-Mail vom 20.05.2022 zur Kündigung (Bl. 77 d. A.) habe sie mitgeteilt, dass sie nach Rückgabe festgestellt habe, dass die Klägerin das gesamte E-Mail-Postfach widerrechtlich gelöscht habe. Dies stünde im Widerspruch zur Aussage der Zeugen. Zudem bestünde der Verdacht, dass die Beklagte selbst Zugriff auf das Postfach der Klägerin gehabt habe. Wird selbst das Löschen als wahr unterstellt, wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, den Bearbeitungsstand nachzuvollziehen. Nach dem Vortrag der Beklagten sei jedwede E-Mail vor Weiterleitung an die jeweils zuständige Sachbearbeiterin archiviert und als Sicherungskopie gespeichert worden. Unter Zuhilfenahme von Ein- und Ausgangsbuch wäre es daher ohne weiteres möglich gewesen, den Bearbeitungsstand nachzuvollziehen. Anderenfalls treffe die Beklagte wohl eher ein Organisationsverschulden, welches der Klägerin nicht angelastet werden könne.
Der neuerliche Vortrag in der Berufungsinstanz, der Administrator Herr ………. habe die angeblich gelöschten E-Mails erst im Oktober 2020 identifiziert und wiederhergestellt, werde mit Nichtwissen bestritten. Ebenso werde bestritten, dass der Zeuge ………. nicht schon zuvor über das Kennwort der Klägerin verfügt habe. Dafür streite das Protokoll aus dem Termin am 01.10.2021. In der Beweisaufnahme habe die Zeugin ……… bestätigt, dass die Untersuchung des Computers der Klägerin bereits im Juni bzw. Mai 2020 stattgefunden habe, ohne dass es hierzu eines Zugriffs auf den Computer der Klägerin bedurft habe. Herr ……. habe dies telefonisch erledigt, da er über einen entsprechenden Zugriff verfüge.
Die Klägerin hat die ursprünglich gestellten Anträge auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch Vergleich vom 15.05.2020 zum 31.08.2020 aufgelöst wurde, sowie den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch ordentliche Kündigung vom 24.03.2020 zum 31.08.2020 beendet wurde, im Kammertermin am 19.09.2023 zurückgenommen.
Sie beantragt nunmehr, das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 12.11.2021, Az. 2 Ca 707/20, aufzuheben und
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 693,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2020 zu bezahlen (Gehalt Mai).
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen (Gehalt Juni).
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 zu zahlen (Gehalt Juli).
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.600,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen (Gehalt August).
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen (Abfindung).
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstgerichtliche Urteil. Zu Recht habe das Erstgericht im Urteil erkannt, dass die Klägerin nicht nur die Mails, sondern vielmehr die Ordner und Unterordner mit den Mails unberechtigt gelöscht habe. Abgesehen vom Administratorzugriff habe einzig die Klägerin Zugriff auf ihr Postfach gehabt und könne daher als Einzige die Löschung vorgenommen haben. Aufgrund der Sicherungsmechanismen, welche der Zeuge ……… bestätigt habe, habe er allein als Administrator auf den Postkorb der Klägerin zugreifen können. Dieser sei kein Angestellter der Beklagten und nicht von dieser abhängig. Es würden sich keine Anhaltspunkte ergeben oder Motive, warum dieser die Löschung hätte vornehmen oder lügen sollen. Die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, die Daten zu löschen bzw. zu unterdrücken. Selbst beim Verschieben der E-Mails in das E-Mail-Archiv des Sicherungsprogrammes wären diese dem normalen Geschäftsverlauf entzogen worden. Nach Auffassung der Beklagten komme es nicht auf das Datum der Überprüfung durch den Administrator an. Die Löschung sei zwischen dem 23. und 29.04.2020 durch die Klägerin vorgenommen worden. Der Zeuge ……….. habe die 30 Tage Serverspeicherzeit bestätigt. Durch die eingeräumte Stellvertreterfunktion habe die Mitarbeiterin ……… in das leere Postfach der Klägerin einsehen können. Daher sei sie von der Löschung ausgegangen. Auch wenn die Beklagte eingehende E-Mails durch ein zulässiges Sicherungsarchiv vor Weiterleitung an den zuständigen Sachbearbeiter abspeichere, sei der Bearbeitungsstand dadurch nicht nachvollziehbar.
Mit Schriftsatz vom 02.05.2023 trägt die Beklagte nunmehr vor, dass das zusätzliche Sicherheitsprogramm eine Sicherung der Mails nicht allgemein durcheinander, sondern für jeden Nutzer einzeln anlege. Dies bedeute, dass in dem jeweiligen Sicherungsarchiv für den Nutzer nicht nur für die für diesen eingehenden Mails, sondern auch die von diesem Mail-Programm (hier: Outlook) verwendete Ordnerstruktur spiegelbildlich archiviert werde, so auch für die Klägerin. Die zusätzliche Sicherungsarchivierung erfolge jeweils mit einer Stunde Verzögerung aus dem Hauptprogramm. Mit der Wiederherstellung aus dem Sicherungsarchiv sei daher auch die Ordnerstruktur automatisch wiederhergestellt worden. Um das Outlook-Konto der Klägerin zu prüfen, habe der IT-Administrator Herr ………. das Passwort der Klägerin zurücksetzen müssen. Er habe dieses zurückgesetzt und bei seiner nachfolgenden Prüfung keine Mails oder Ordner vorgefunden, auch nicht im Papierkorb. Die Wiederherstellung aus dem Sicherheitsarchiv sei laut Tätigkeitsbericht und Rückfrage bei Herrn ………… durch diesen selbst erst am 06.10.2020 erfolgt. Die Beklagte legt einen entsprechenden Tätigkeitsbericht vor (Bl. 371 d. A.).
In der mündlichen Verhandlung am 05.09.2023 erklärt der Beklagtenvertreter, dass der Administrator Herr ……… der Mitarbeiterin ………… am 20.05.2020 die Vertreterrechte für das Postfach eingerichtet habe. Diese konnte daraufhin im Postfach nichts sehen. Der Umfang der Vertreterrechte sei wie folgt: Es könnten neue E-Mails gelesen werden. Hinsichtlich der bisherigen E-Mails bestünde nur eine Lesefunktion.
Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.09.2023 mit, dass dem Administrator, Herrn ………… Ende Juli 2020 eingefallen sei, dass ja noch das zusätzliche Sicherungsarchiv angelegt gewesen sei. Dies wäre bei normaler Suche nach Dateien nicht einbezogen, sondern könne nur durch den Administrator mit dessen Berechtigung ebendort durchsucht werden. Dies habe Herr ………….. Ende Juli 2020 vorgenommen und dort Mails der Klägerin gefunden. Dies habe er der Beklagten gemeldet.
Zum weiteren Inhalt des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg.
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Die nach § 64 Abs. 2 c ArbGG statthafte Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und nach Maßgabe des § 520 ZPO begründet.
Die Berufung ist begründet.
1. Die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2020 ist unwirksam, weil für sie ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.
Das Arbeitsverhältnis kann gemäß § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht. Es ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Dabei ist der Einzelfall unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bewerten, wobei regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen sind. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber mildere Reaktionsmöglichkeiten, wie insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung, unzumutbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 25.10.2012 – 2 AZR 495/11 – Rn.14 m.w.N. in ständiger Rechtsprechung).
a) Die Beklagte stützt ihre außerordentliche Kündigung zunächst darauf, dass die Klägerin ihr E-Mail-Postfach und ihre Mails auf ihrem Dienstrechner gelöscht hat. Die Klägerin bestreitet dies.
aa) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 19 m.V. a. BAG 7. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 – Rn. 29, BAGE 137, 54). Das unbefugte, vorsätzliche Löschen betrieblicher Daten auf EDV-Anlagen des Arbeitgebers ist grundsätzlich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet.
bb) Die Beklagte vermochte es bereits entgegen der Auffassung der Erstinstanz nicht, schlüssig darzulegen und zu beweisen, dass die Klägerin ihr E-Mail-Postfach und ihre Mails auf ihrem Dienstrechner gelöscht hat. Der Vortrag hierzu ist widersprüchlich.
Für die Kammer ist bereits unklar, wann überhaupt die Beklagte die Prüfung des Postfaches vorgenommen haben will.
Die Beklagte trägt zunächst in der Klageerwiderung 13.10.2020 (Bl. 109 ff.) vor, dass der Rechner der Klägerin nach dessen Abholung am 20.05.2020 durch Frau …… und den Administrator Herrn …….. kontrolliert worden sei. Dabei sei festgestellt worden, dass sich keine Daten und E-Mails mehr im Postfach der Klägerin befanden. Durch das zusätzliche Sicherheitsprogramm, das zusätzlich Mails sichert, die gelöscht wurden, sei es dem Administrator unter erheblichem Aufwand möglich gewesen, die Löschung festzustellen und zumindest einen Teil wiederherzustellen. Dieser Vorfall sei umgehend der Beklagten gemeldet worden, die daraufhin die außerordentliche Kündigung ausgesprochen habe. Dies entspricht auch dem Inhalt der an den Klägervertreter gerichteten E-Mail der Beklagten vom 20.05.2020 (Bl.77).
Dies widerspricht den Zeugenaussagen der Frau …….. und des Administrators in der Beweisaufnahme am 01.10.2021. Frau ………… sagte aus, der Administrator sei erst am 28.05.2020 mit der Prüfung beauftragt worden, was gelöscht worden sei. Der Administrator erklärte, im Juni 2020 in den Rechner der Klägerin geschaut zu haben.
In der Berufungsinstanz trägt die Beklagte auf Nachfrage des Gerichts nunmehr mit, ein Screenshot des E-Mail-Postfaches und deren Wiederherstellung sei laut Tätigkeitsbericht und Rückfrage beim Administrator durch diesen selbst erst am 06.10.2020 erfolgt. Die Beklagte legt hierfür einen Fernwartungsbericht des Administrators (Bl. 371 der Akte) vor.
In der mündlichen Verhandlung am 05.09.2023 erklärte der Beklagtenvertreter auf Nachfrage des Gerichts am 20.05.2020, der Frau …….. seien Vertreterrechte durch den Administrator für das Postfach eingerichtet worden, woraufhin sie im Postfach der Klägerin nichts habe sehen können. Das Vertreterrecht umfasse eine Lesefunktion der bisherigen und der neu eingegangenen Mails. In der Beweisaufnahme am 01.10.2020 sagte der Administrator zur Stellvertreterfunktion jedoch aus, dass der Stellvertreter das Outlook der Klägerin nicht sehen könne (Bl. 225R der Akte).
Die Kammer hat nicht über den Antrag des Beklagtenvertreters im Kammertermin am 05.09.2023 auf weiteren Schriftsatznachlass entschieden, den Vortrag im Schriftsatz vom 15.09.2023 jedoch bei der Urteilsfindung noch berücksichtigt. Dieser führt zu keinem weiteren Aufschluss über den Hergang, sondern nur zu einer weiteren abweichenden Sachverhaltsdarstellung. So trägt die Beklagte nunmehr mit Schriftsatz vom 15.09.2023 vor, dass der Administrator Ende Juli 2020 im Sicherungsarchiv Mails der Klägerin gefunden haben will.
Für den Zeitpunkt der Kontrolle und des Wiederherstellens des Postfaches stehen somit fünf verschiedene Daten im Raum. Dies ist widersprüchlich und somit nicht einlassungsfähig. Insoweit hält auch die Auffassung der Instanz nicht der Überprüfung stand, welche die Überprüfung des Postfaches mit dem 28.05.2020 und einen Löschungszeitpunkt Ende April 2020 annimmt.
cc) Auch ist der Vortrag der Beklagten nicht dahingehend konsistent, welche Person die Feststellung getroffen hat, dass der E-Mail-Account der Klägerin leer sei. Der Vortrag ist daher ebenfalls widersprüchlich. Zunächst behauptet die Beklagte, Frau …… und Herr ……… hätten den Rechner am 20.05.2020 kontrolliert. Später wird behauptet, Frau ………. habe durch die eingeräumte Vertreterfunktion das Löschen des E-Mailpostfaches festgestellt. Letztlich sei am 06.10.2023 das Postfach durch den Administrator geprüft und wiederhergestellt worden. Mit Schriftsatz vom 15.09.2023 wird dann erklärt, dass im Juli 2023 der Administrator im Sicherungsarchiv die Mails der Klägerin gefunden habe.
Für die Kammer erschließt sich zudem nicht, wie ohne ein Rücksetzen des Passwortes durch den Administrator bereits am 20.05.2020 Frau …….. den E-Mail-Account einsehen konnte, wenn doch die vom Administrator eingeräumte Stellvertreterfunktion kein Einsichtsrecht in das E-Mail-Postfach der Klägerin umfasst. Der Administrator hat ein Einsichtsrecht des Stellvertreters in das Outlook der Klägerin in der Beweisaufnahme am 01.10.2021 verneint.
dd) Da es der Beklagten nicht gelang, darzulegen und zu beweisen, dass die Klägerin die Daten gelöscht hat, muss die Kammer auch nicht prüfen, ob die Klägerin möglicherweise wegen einer geduldeten Privatnutzung des E-Mail-Accounts zur Datenlöschung befugt war.
ee) Darüber hinaus erschließt sich der Kammer selbst bei Unterstellung einer Pflichtverletzung durch die Klägerin kein Schaden der Beklagten, um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
Durch die Erläuterung des Administrators in der Beweisaufnahme zum Mailarchiv (jede eingehende Mail wird zunächst gespeichert, bevor sie an die Mitarbeiter weitergeleitet wird) und das detaillierter in der Berufungsinstanz geschilderte Sicherheitsprogramm der Beklagten zur Sicherung der Ordnerstruktur im Mailprogramm mit jeweils einer Stunde Verzögerung aus dem Hauptprogramm ist für das Gericht klar, dass keine Mails und auch nicht die von der Klägerin hergestellte Ordnerstruktur im Outlook-Postfach verloren gehen kann. Die Löschung blieb daher ohne große betriebliche Folgen. Auch die Wichtigkeit der angeblich gelöschten Daten kann nicht nachvollzogen werden. Sofern die Wiederherstellung des Postfaches der Klägerin tatsächlich erst am 06.10.2020 durch den Administrator vorgenommen wurde, konnte die Beklagte fast fünf Monate ohne diese Daten auskommen.
b) Als zusätzliche Kündigungsgründe führt die Beklagte weitere Pflichtverstöße an. So soll die Klägerin in zwei Fällen fehlerhafte Umsatzsteuererklärungen abgegeben, Falschbuchungen bzw. gar keine Buchungen vorgenommen und am 08.05.2020 das Vier-Augen-Prinzip nicht beachtet haben. Damit hat die Beklagte Schlechtleistungen der Klägerin geltend gemacht, die vorliegend nicht als Kündigungsgrund geeignet ist.
aa) Eine Schlechtleistung kann nur in Ausnahmefällen eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer z.B. bewusst (vorsätzlich) seine Arbeitsleistung zurückhält, oder wenn infolge der Fehlleistungen ein nicht wieder gut zu machender Schaden entsteht und bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ähnliche Fehlleistungen des Arbeitnehmers zu befürchten sind. Entsprechendes gilt bei besonders verantwortungsvollen Tätigkeiten (vgl. zum Ganzen: ErfK/ BGB, § 626 BGB Rn. 128, m. N. a. d. R.).
bb) Das behauptete Verhalten der Klägerin in Bezug auf die Fertigung fehlerhafter Umsatzsteuererklärungen bzw. Falschbuchungen ist nicht geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Die Klägerin trägt vor, nicht absichtlich falsche Umsatzsteuererklärungen abgegeben zu haben. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bewusst fehlerhafte Erklärungen abgegeben hat. Die Beklagte behauptet hier nur pauschal, auf Grund einer Serie von Fehlern liege bei einer „guten“ Mitarbeiterin ein bedingter Vorsatz vor. Sie unterstellt der Klägerin eine Schädigungsabsicht zudem dadurch, dass diese der nachprüfenden Mitarbeiterin Frau ……… nicht die mangelhafte Vorbereitung der Erklärungen und die Nichtvornahme aller Buchungen mitgeteilt habe. Die Klägerin hätte also der nachprüfenden Mitarbeiterin die Fehler mitteilen müssen, um Absicht auszuschließen. Dies ist nicht nachvollziehbar.
Ob und inwieweit durch das behauptete Fehlverhalten ein erheblicher nicht wiedergutzumachender Schaden bei der Beklagten entstanden ist, wurde von der Beklagten nicht konkret dargelegt. Daher können auch aus diesem Grund die behaupten fehlerhaften Umsatzsteuererklärungen und Falschbuchungen nicht als außerordentlicher Kündigungsgrund herangezogen werden.
Die von der Beklagten am 13.05.2020 erteilte Abmahnung führt im Ergebnis nicht zu einer anderen Bewertung. Die Abmahnung war nicht heranzuziehen. Hierin monierte die Beklagte die verspätete Einstellung von Daten in den Datenraum im Rahmen der Buchhaltung Gregoire Besson und forderte die Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung zur Aufarbeitung der Buchhaltung auf. Eine Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen unterblieb jedoch.
Da es grundsätzlich bereits an der Geeignetheit als außerordentlicher Kündigungsgrund scheitert, kommt es nicht mehr darauf an, dass die Beklagte die Gründe nachweisen kann.
cc) Auch der von der Beklagten behauptete Verstoß gegen das Vier-Augen-Prinzip ist allenfalls als fahrlässige Schlechtleistung zu werten und rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung. Hier fehlt es zudem an einem konkreten nachvollziehbaren Vortrag. Es ist nicht klar, wann die Klägerin diese Pflichtverletzung begangen haben soll. Die Beklagte behauptet in der Klageerwiderung nur pauschal, die Klägerin habe das Vier-Augen-Prinzip nicht beachtet trotz entsprechender Hinweise von Frau ………, beispielsweise mit Mail vom 08.05.2020.
dd) Hinsichtlich der von der Beklagten übergangenen Buchungen im Fall der …. fehlt es ebenfalls an einlassungsfähigem Vortrag. Es ist überhaupt nicht klar, was der Klägerin konkret vorgeworfen wird, ob sie die Buchungen nicht gesehen oder nicht gebucht hat und wann überhaupt das vorgeworfenen Verhalten stattgefunden haben soll.
c) Als weiteren Kündigungsgrund führt die Beklagte an, dass in Sachen Stadt E. und …….. Unterlagen gelöscht worden seien. Hierzu fehlt es bereits an substantiiertem Vortrag. Es ist völlig unklar, auf Grund welcher Umstände die Beklagte zu dem zwingenden Schluss gelangt, dass Unterlagen gelöscht worden seien. Welche Unterlagen gelöscht worden seien, wurde ebenfalls nicht vorgetragen. Inwieweit nicht gebuchte Kontoauszüge der Sparkasse zum Vorgang ….. vom 02.05.2020 hiermit in Zusammenhang stehen, ist nicht nachvollziehbar. Dieses Verhalten kann somit nicht als Kündigungsgrund herangezogen werden.
d) Das Arbeitsverhältnis ist auch nicht durch ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet worden.
Da es an einem außerordentlichen Kündigungsgrund fehlt, ist weiter zu prüfen, ob ein Kündigungsgrund zur ordentlichen Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG vorliegt. Eine unwirksame außerordentliche Kündigung kann grundsätzlich in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn diese dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung erkennbar geworden ist (BAG 15. November 2001 – 2 AZR 310/00, Rn. 19 m.w. N.).
Vorliegend kommt jedoch eine solche Umdeutung nicht in Betracht, da die Parteien im Rahmen der ordentlichen Kündigung vom 24.03.2020 sich bereits vergleichsweise auf den 31.08.2020 als Beendigungszeitpunkt geeinigt haben. Ziel der außerordentlichen Kündigung war vor allem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor diesem festgelegten Datum und nicht danach. Bei einer Umdeutung könnte die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis erst zum 31.10.2020 beenden. Dies konnte keinesfalls gewollt sein.
2. Der Klägerin stehen die Ansprüche auf Zahlung der Vergütung und der Abfindung im tenorierten Umfang der Ziffern 2 bis 6 zu. Diese ergeben sich aus dem am 15.05.2020 unstreitig geschlossenen Vergleich. Da die außerordentliche Kündigung vom 20.05.2020 nicht wirksam
ist, entfällt auch nicht die Geschäftsgrundlage für den geschlossenen Vergleich. Der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.09.2020 behauptete Verstoß der Klägerin gegen eine Schadensminderungspflicht geht fehl. Das Gericht geht davon aus, dass die Beklagte meint, die Klägerin müsse sich bei der Forderung von Annahmeverzugslohn die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangene Ansprüche bzw. erzielbaren Lohn auf Grund von möglichen Bewerbungen anrechnen lassen. Vorliegend beansprucht die Klägerin jedoch keinen Annahmeverzugslohn. Vielmehr basiert der Anspruch auf Vergütung aus dem geschlossenen Vergleich. Hiernach wären nach Ziffer 2 nur Zwischenverdienste anzurechnen. Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte. Die Beklagte hat dies auch zu keinem Zeitpunkt behauptet.
Der jeweils tenorierte Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Die Vergütungsansprüche werden nach § 4 Ziffer 1 des Arbeitsvertrages jeweils am Letzten des Kalendermonats und der Anspruch auf Zahlung der Abfindung entsprechend Ziffer 4 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, hier am 31.08.2020, fällig.
3. Der Anspruch auf Zeugniserteilung wurde bereits von der ersten Instanz zugesprochen und nicht von der Berufung angegriffen und ist insoweit rechtskräftig.
II. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz nach § 46 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG, § 91 Abs. 1 ZPO. Sie unterliegt hinsichtlich der Kündigungsfeststellungsklage und der Zahlungsanträge.
Zwar hat die Klägerin den ursprünglich mit der Berufungsbegründung gestellten Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2020 aufgelöst worden ist, zurückgenommen. Dieser Antrag wirkt jedoch nicht streitwerterhöhend, da dieser Antrag wirtschaftlich in den Anträgen auf Zahlung der Vergütung und der Abfindung auf Grund des Vergleiches vom 15.05.2020 aufgeht. Er fällt daher bei der Kostenquotelung nicht ins Gewicht. Ebenso wirkt sich der von der Klägerin zurückgenommene Hilfsantrag nicht auf die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin aus. Dieser wäre nur streitwerterhöhend zu berücksichtigen, wenn über diesen zu entscheiden wäre, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG. Dies war nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung der Erstinstanz richtet sich nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dabei berücksichtigt die Kammer den Kündigungsschutzantrag mit drei Bruttomonatsgehältern, mithin 7.800,00 €, die Zahlungsanträge nach dem bezifferten Wert und die Anträge auf Entfernung der Abmahnung und auf Erteilung eines Zeugnisses mit jeweils einem Bruttomonatsgehalt. Der Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch Vergleich zum 31.08.2020 aufgelöst wurde, wirkt ebenfalls nicht streitwerterhöhend, da dieser Antrag wirtschaftlich in den Anträgen auf Zahlung der Vergütung und der Abfindung auf Grund des Vergleiches vom 15.05.2020 aufgeht. Der hilfsweise gestellte Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24.03.2020 fiel nicht zur Entscheidung an und wirkt nicht streitwerterhöhend nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG. Der Gesamtstreitwert umfasst somit 36.493,00 €. Die Klägerin unterlag nur hinsichtlich der Abmahnung und daher mit 1/14.
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.