Das Landesarbeitsgericht Köln hat entschieden, dass die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Nachschiebens von Kündigungsgründen unwirksam ist. Der Arbeitgeber muss die Kosten des Verfahrens tragen und dem Arbeitnehmer eine Differenz zum gesetzlichen Mindestlohn, das ausstehende Novemberentgelt und ein qualifiziertes Zeugnis zahlen.
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Übersicht:
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das Landesarbeitsgericht bestätigt die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung, da im Kleinbetrieb keine soziale Rechtfertigung erforderlich ist.
- Die fristlose Kündigung ist hingegen unwirksam, da die vom Arbeitgeber vorgebrachten Gründe wie angebliche Unterschlagung nicht ausreichend belegt werden konnten.
- Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Auszahlung des vollen Novemberentgelts sowie der Differenzen zum gesetzlichen Mindestlohn für den Zeitraum Juli bis Dezember 2022.
- Das Nachschieben des Kündigungsgrundes der angeblichen falschen Anschuldigungen gegenüber der Polizei nach Zugang der Kündigung ist unbeachtlich.
- Eine ordnungsgemäße Zeugniserteilung wurde nach Auffassung des Gerichts bereits vorgenommen.
- Die Revision wurde vom Landesarbeitsgericht nicht zugelassen, die Berufung des Arbeitgebers wurde zurückgewiesen.
- Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß dem Unterliegen des Arbeitgebers im Berufungsverfahren.
Kündigungsgrund nachgeschoben: Landesarbeitsgericht Köln entscheidet über Zulässigkeit
Ein Arbeitsverhältnis kann aus unterschiedlichen Gründen beendet werden. Neben Aufhebungsverträgen und Befristungen spielen dabei Kündigungen eine zentrale Rolle. Der Arbeitgeber hat hierbei besondere rechtliche Pflichten einzuhalten. So muss er etwa Kündigungsgründe sorgfältig prüfen und begründen. Darüber hinaus können Arbeitgeber Kündigungsgründe nicht unbegrenzt nachschieben. Wann ein solches Nachschieben von Kündigungsgründen zulässig ist und welche Voraussetzungen dafür gelten, ist eine oft diskutierte Frage im Arbeitsrecht. Ein konkreter Fall, der diese Thematik beleuchtet, soll im Folgenden näher betrachtet werden.
Der Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln im Detail
Nachschieben von Kündigungsgründen für fristlose Kündigung unzulässig
Der Kläger war seit Dezember 2020 bei dem Beklagten als Verkäufer in einem Unternehmen beschäftigt, das sich mit dem Verkauf von E-Zigaretten und Zubehör befasst. Im Dezember 2022 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich. Die fristlose Kündigung begründete er mit angeblicher Unterschlagung von Geld, dem Konsum von Waren zum Eigenbedarf und gefährlichen Messerwürfen auf Verpackungen. Der Kläger hingegen erhob schwere Vorwürfe gegen den Beklagten und behauptete, dieser habe ihn erniedrigt, festgehalten und vergewaltigt.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Köln und forderte zudem die Zahlung ausstehenden Lohns sowie der Differenz zum gesetzlichen Mindestlohn. Das Arbeitsgericht entschied zugunsten des Klägers und erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam. Der Beklagte legte daraufhin Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Köln ein und führte einen neuen Kündigungsgrund an: Der Kläger habe nach dem Personalgespräch bei der Polizei falsche Anschuldigungen gegen ihn erhoben.
Berufung zurückgewiesen: Fristlose Kündigung unwirksam
Das Landesarbeitsgericht Köln wies die Berufung des Beklagten zurück und bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Richter stellten fest, dass die vom Beklagten angeführten Gründe, wie die Vorwürfe der Unterschlagung und des Messerwerfens, nicht ausreichend belegt werden konnten und daher keine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Auch das Nachschieben des Kündigungsgrundes der angeblichen Falschaussage gegenüber der Polizei sei im vorliegenden Fall unbeachtlich. Die Wirksamkeit einer Kündigung beurteile sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Zugangs. Nachgeschobene Gründe müssten daher bereits vor Zugang der Kündigung existiert haben, was hier nicht der Fall war.
Anspruchsbegründung: Zeugnis, Mindestlohn und Novemberentgelt
Das Landesarbeitsgericht bestätigte zudem die Ansprüche des Klägers auf Zahlung der Differenz zum gesetzlichen Mindestlohn, des ausstehenden Novemberentgelts sowie auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses. Der Arbeitgeber habe die Erfüllung des Zeugnisanspruchs nicht dargelegt, da das vorgelegte Schreiben nicht den Anforderungen an ein qualifiziertes Zeugnis genüge.
Revision nicht zugelassen – Kostenentscheidung zu Lasten des Arbeitgebers
Das Landesarbeitsgericht ließ die Revision nicht zu, da die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalls beruhe. Der Beklagte trägt als unterliegende Partei die Kosten des Berufungsverfahrens.
✔ FAQ zum Thema: Kündigungsrecht
Was bedeutet es, Kündigungsgründe „nachzuschieben“, und welche rechtlichen Folgen hat dies?
Das Nachschieben von Kündigungsgründen bedeutet, dass der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung weitere Gründe für die Kündigung anführt, die er zunächst nicht genannt hatte. Die Rechtsprechung lässt das Nachschieben von Kündigungsgründen grundsätzlich zu, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen:
Die nachgeschobenen Kündigungsgründe müssen bereits vor dem Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer objektiv vorgelegen haben. Gründe, die erst nach Zugang der Kündigung entstanden sind, können nicht mehr zur Rechtfertigung der bereits ausgesprochenen Kündigung herangezogen werden.
Außerdem darf der Arbeitgeber von den neuen Gründen erst nach Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt haben. Waren ihm die Gründe bereits zuvor bekannt, kann er sie nicht mehr nachschieben.
In Betrieben mit Betriebsrat muss dieser vor Einführung der neuen Kündigungsgründe in den laufenden Prozess angehört werden.
Das Nachschieben ist nur für den Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht relevant. Die Wirksamkeit der Kündigung beurteilt sich aber zunächst nur nach den ursprünglich genannten Gründen zum Zeitpunkt des Zugangs beim Arbeitnehmer.
Inwiefern muss ein Arbeitgeber das Vorliegen von Kündigungsgründen beweisen?
Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes.
Er muss die Tatsachen, die die Kündigung bedingen, konkret darlegen und beweisen. Dabei reicht es nicht aus, nur vage Behauptungen aufzustellen.
Für das Bestreiten des Arbeitnehmers oder mögliche Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe ist die Darlegungslast des Arbeitnehmers hingegen abgestuft. Er muss zunächst nur greifbare Anhaltspunkte dafür benennen.
Bei verhaltensbedingten Kündigungen muss der Arbeitgeber das konkrete Fehlverhalten des Arbeitnehmers und dessen Pflichtverletzung beweisen. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, ist die Kündigung unwirksam.
Auch bei Verdachtskündigungen, die auf einem Pflichtverletzungsverdacht beruhen, obliegt dem Arbeitgeber eine hohe Darlegungs- und Beweislast. Er muss alle Erkenntnisquellen zur Sachverhaltsaufklärung ausschöpfen.
Die Beweislast für die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Kündigung, insbesondere das Vorliegen eines Grundes, liegt somit eindeutig beim Arbeitgeber. Nur wenn er diesen Beweis erbringt, ist die Kündigung rechtswirksam.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 626 BGB (Außerordentliche fristlose Kündigung): Regelt die Voraussetzungen einer außerordentlichen fristlosen Kündigung. Im vorliegenden Fall war der Hauptstreitpunkt, ob die vom Beklagten angeführten Gründe (Diebstahl, Verstöße gegen das Waffengesetz) eine solche Kündigung rechtfertigen können. Das Gericht fand, dass die Beweise des Beklagten nicht ausreichten, um eine fristlose Kündigung zu stützen.
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Speziell relevant für die Beurteilung der ordentlichen Kündigung im Kontext kleiner Betriebe (weniger als zehn Angestellte), bei denen das KSchG unter bestimmten Bedingungen keine Anwendung findet. Das Gericht erwähnte, dass für die ordentliche Kündigung keine soziale Rechtfertigung notwendig sei.
- Mindestlohngesetz (MiLoG): Dieses Gesetz bestimmt die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Der Kläger machte Differenzansprüche geltend, da sein Lohn unter dem gesetzlichen Mindestlohn lag. Der geltend gemachte Anspruch basierte auf einer Differenz zwischen dem gezahlten Lohn und dem gesetzlichen Mindestlohn.
- § 2 Nachweisgesetz (NachwG): Fordert die schriftliche Niederlegung wesentlicher Vertragsbedingungen bei Arbeitsverhältnissen. Dies könnte relevant sein, wenn es um die Dokumentation von Lohnvereinbarungen und Arbeitszeiten geht, die für die Berechnung des Mindestlohns notwendig sind.
- § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): Regelt die Notwendigkeit der Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung. Auch wenn im Fall keine direkte Erwähnung eines Betriebsrats erfolgte, ist dies ein wichtiger Aspekt in vielen Kündigungsfällen.
- § 109 Gewerbeordnung (GewO): Betrifft den Anspruch auf ein Arbeitszeugnis und dessen Inhalt. Im konkreten Fall forderte der Kläger ein qualifiziertes Zeugnis, welches ein wesentlicher Bestandteil der Verhandlung war.
- § 611a BGB (Definition des Arbeitsvertrags): Relevant zur Bestimmung der rechtlichen Natur des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und den daraus resultierenden Pflichten und Rechten beider Parteien.
- §§ 280, 241 Abs. 2 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung): Könnten relevant werden, wenn Vertragspflichten verletzt wurden, z. B. bei Nichtzahlung des Lohns oder der unrechtmäßigen Kündigung.
- Strafgesetzbuch (StGB): Relevant im Kontext der strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Beklagten (Diebstahl, Körperverletzung), welche im Rahmen der Kündigungsgründe diskutiert wurden, jedoch nicht unmittelbar die zivilrechtliche Kündigung beeinflussen.
Diese Gesetze und Bestimmungen bilden die rechtliche Grundlage für die Beurteilung der Kündigung, des Zeugnisanspruchs und der Lohnforderungen in diesem speziellen Fall.
➜ Das vorliegende Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln
Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 277/23 – Urteil vom 09.11.2023
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 22.03.2023 – 2 Ca 7109/22 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses, um die Erteilung eines Zeugnisses und um Entgeltansprüche in Höhe eines Betrages, der sich nach der Darstellung des Klägers aus der Differenz zwischen den tatsächlich ausgezahlten Löhnen einerseits und dem gesetzlichen Mindestlohn andererseits ergibt. Im Zusammenhang mit der Kündigung stehen wechselseitige Vorwürfe im Raum: Während der Beklagte dem Kläger vorwirft, dieser habe Geld unterschlagen, Waren zum eigenen Genuss konsumiert und mit einem Messer auf Verpackungen geworfen, ist es der Kläger, der behauptet, der Beklagte habe ihn erniedrigt, festgehalten und schließlich vergewaltigt.
Der Kläger ist seit dem 01.12.2020 bei dem Beklagten als Verkaufsmitarbeiter beschäftigt. Vereinbart ist ein Monatsgehalt in Höhe von 1.646,00 Euro brutto bei einer 40-Stunden-Woche. Der Beklagte betreibt ein Unternehmen, das sich mit dem Verkauf von elektrischen Zigaretten nebst Ambiente befasst. Im Betrieb sind nicht mehr als zehn Beschäftigte tätig.
Für den Monat November 2022 zahlte der Beklagte dem Kläger kein Gehalt aus.
Am 08.12.2022 kam es zu einem Zusammentreffen des Klägers u.a. mit dem Beklagten, dessen Umstände zwischenzeitlich zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten und einer Hausdurchsuchung bei ihm geführt haben.
Mit Schreiben vom gleichen Tag, dem 08.12.2022, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Mit der seit dem 29.12.2022 beim Arbeitsgericht Köln anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, die vom Beklagten behaupteten Kündigungsgründe seien allesamt unzutreffend oder nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Er habe kein Geld unterschlagen. Manche Verkäufe seien auf Weisung des Beklagten zum Zwecke der Steuerhinterziehung nicht gebongt worden. Das Werfen mit Messern auf Versandkartons sei bei dem Beklagten üblich und dem Inhaber schon lange bekannt und toleriert. Das Zusammenstellen von Liquids zum Eigenbedarf sei seitens des Beklagten gestattet gewesen.
Mit der Klage – so der Kläger weiter – begehre er außerdem die Zahlung des Entgelts für den Monat November 2022 in Höhe von 1.646,00 EUR. Außerdem fordere er die Auszahlung der Lohn-Differenzen zum gesetzlichen Mindestlohn für den Zeitraum vom 01.07.2022 bis zum 08.12.2022. Dem Antrag hinsichtlich der letztgenannten Forderung liege die folgende Berechnung zu Grunde: Bei einem Monatsgehalt in Höhe von 1.646,00 EUR und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden betrage der durchschnittliche Bruttostundenlohn 10,29 EUR. Ab dem 01.07.2022 habe die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns demgegenüber 10,45 EUR betragen. In der Zeit vom 01.07.2022 bis 30.09.2022 habe er an 66 Tagen jeweils 8 Stunden gearbeitet. Es ergebe sich daher eine Differenz von 84,48 EUR. Ab dem 01.10.2022 habe die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns 12,00 EUR betragen. In der Zeit vom 01.10.2022 bis 08.12.2022 habe er an 48 Tagen jeweils 8 Stunden gearbeitet. Die Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten bzw. geschuldeten Entgelt und dem gesetzlichen Mindestlohn betrage daher für diesen Zeitraum 656,64 EUR. Aus der Addition mit dem Differenzbetrag für die Zeit bis zum 30.09.2022 in Höhe von 84,48 EUR errechne sich so der mit dem Antrag zu 6 geforderte Betrag.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 08.12.2022, zugegangen am 08.12.2022, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom gleichen Tage beendet wird;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungsgründe endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 15.01.2023 hinaus fortbesteht;
3. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollendes, qualifiziertes Zwischenzeugnis und – hilfsweise für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – ein entsprechendes Endzeugnis zu erteilen;
4. den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als „Verkaufsmitarbeiter“ weiter zu beschäftigen;
5. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.646 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 29.12.2022 zu zahlen;
6. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 741,12 EUR nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Verteidigung gegen die Klage hat der Beklagte vorgetragen, die Kündigungserklärung sei auf mehrere erwiesene Taten zurückzuführen. Der Kläger habe am 05.12.2021 und am 06.12.2021 unentschuldigt gefehlt. Der Kläger habe monatelang Geld entwendet, indem er Produkte verkauft und das Geld in die Kasse gelegt habe, die jeweiligen Verkaufsvorgänge aber nicht in der Kasse verbucht habe. Zudem habe er mit Messern auf Versandkartons geworfen. Ein Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses bestehe nicht mehr. Das Zeugnis sei erteilt worden.
Im Einzelnen – so der Beklagte weiter – seien die besagten Vorwürfe auf der Grundlage der ihm vorliegenden Videoaufzeichnungen wie folgt zu konkretisieren: Am 01.12.2021 habe sich der Kläger Liquid im Wert von 22,89 EUR gemischt und nicht bezahlt. Am 01.12.2021 habe der Kläger einem Kunden eine Einwegzigarette ausgehändigt, habe ihn probieren und bezahlen lassen, habe sodann Wechselgeld herausgegeben. Das alles habe er aber nicht gebongt. Am 02.12.2021 habe er Flaschen verkauft. Das dafür eingenommene Geld habe er aber dann nicht in der Kasse eingebongt. Am 03.12.2021 habe der Kläger eine Flasche „Dampfion“ verkauft und dabei die Scan-Funktion genutzt, er habe sodann mit dem Taschenrechner gerechnet, aber den Betrag nicht in der Kasse gebongt. Am 03.12.2021 habe der Kläger eine Flasche „Kapka’s“ verkauft und dabei die Scan-Funktion benutzt. Auch hier habe er zwar mit dem Taschenrechner Berechnungen angestellt, den Betrag aber nicht in die Kasse eingebongt. Am 03.12.2021 habe der Kläger „Vape Station Base 50“ für eigene Zwecke abgefüllt und geraucht ohne zu bezahlen. Am 03.12.2021 habe der Kläger „Chubby Gorilla Liquidflasche“ verkauft, aber nicht boniert. Am 03.12.2021 habe der Kläger „Elf Bar Einweg E-Zigarette Watermelon“ verkauft und nicht boniert. Ähnlich habe sich der Kläger schon im Oktober des Jahres 2021 verhalten: Er habe drei Flaschen Vape Station Base 70/30 1 Liter und eine Flasche IVG Aroma Bubble Gum 20 ml, eine Flasche Fiasco Brew Aroma Watermelon Punsch 20 ml und eine Flasche Alman Juice Aroma Zitrone Limette 20 ml und eine Flasche Origami Aroma Druck 30 ml und drei 10er-Packungen Vape Station Nikotin Shots 70/30 und eine 5er Packung Eleaf HW-N Coils verkauft. Die Einnahmen zu all diesen Verkäufen habe er nicht in der Kasse erfasst.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.03.2023 der Klage überwiegend stattgegeben. Der allgemeine Feststellungsantrag sei mangels eines weiteren Beendigungstatbestandes unzulässig. Soweit sich der Kläger mit der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung wende, sei zwar die fristlose Kündigung unwirksam; durch die ordentliche Kündigung sei das Arbeitsverhältnis jedoch beendet worden.
Der Beklagte – so das Arbeitsgericht weiter – habe dem Kläger keinen Diebstahl und keine Unterschlagung nachweisen können. Sein ansonsten umfänglicher Vortrag sei im entscheidenden Punkt, nämlich wie das aus den Schwarzverkäufen eingenommene Geld aus der Kasse „in die Tasche“ des Klägers gekommen sein solle, unzureichend. Der Vortrag des Beklagten beschränke sich hier auf zu allgemein gehaltene Darlegungen wie die, der Kläger habe allein über die Kasse verfügt; alleine daraus ergebe sich, dass er sich das Geld widerrechtlich angeeignet habe (Bl. 51 ff. d.A.). Das sei nicht zutreffend. Das eine ergebe sich aus dem anderen gerade nicht. Es seien hier durchaus plausible Alternativszenarien denkbar, wie z.B. die vom Kläger behauptete Anweisung durch den Beklagten Steuerhinterziehung zu begehen. Die übrigen von dem Beklagten angeführten Kündigungsgründe reichten in einer Gesamtbetrachtung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls unter Berücksichtigung der kurzen Kündigungsfrist und der Vertragsverstöße des Beklagten selbst (Mindestlohngesetz) nicht für eine fristlose Beendigung aus. Die ordentliche Kündigung sei dem gegenüber wirksam. Da das Kündigungsschutzgesetz im Kleinbetrieb keine Anwendung finde, habe es für die ordentliche Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung bedurft. Der Klageantrag zu 4 (Weiterbeschäftigung), ein unechter Hilfsantrag, sei nicht zur Entscheidung angefallen. Der Klageantrag zu 5 (volles Novemberentgelt) sei begründet, da der Beklagte dem Vortrag zum geltend gemachten Anspruch nicht erheblich entgegengetreten sei. Auch der Klageantrag zu 6 (Differenzen zum Mindestlohn) sei begründet. Der Anspruch in der Hauptsache ergebe sich aus § 1 MiLoG, der Zinsanspruch aus §§ 288, 291 BGB. Auch hier fehle es an einem erheblichen Vortrag des Beklagten. Die vom Kläger zur Anspruchsgebegründung vorgetragenen Tatsachen müs sten daher als unstreitig gelten.
Gegen dieses ihm am 12.04.2022 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12.05.2022 Berufung eingelegt und er hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 11.07.2022 begründet.
Zur Begründung seiner Berufung hat der Beklagte vorgetragen, die fristlose Kündigung vom 08.12.2022 sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts wirksam. Das Arbeitsverhältnis habe also nicht erst mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sein Ende gefunden. Die Kündigung sei wegen diverser Vertragspflichtverletzungen ausgesprochen worden, vor allem aber, weil der Kläger der Polizei Unwahrheiten berichtet habe. Zuvor habe auf seine Einladung hin am 08.12.2022 ein Personalgespräch stattgefunden. Das sei ein Vier-Augen-Gespräch gewesen. Nach diesem Gespräch sei dann der Kläger in den späten Nachmittagsstunden zusammen mit dessen Vater zur Polizei gegangen, um dort Unwahrheiten zu berichten: er habe den Kläger vergewaltigt, als Geisel genommen, ihn mit Hilfe einer dritten Person in einen Raum gesperrt, ihn geschlagen, das Mobiltelefon entsperrt, gedroht ihn zu fesseln und ihn als „Hurensohn“, „Nazi“, „Faschist“, „Krimineller“ und „Gauner“ beleidigt. Er habe den Kläger beraubt. Von diesem Sachverhalt habe er durch eine Gefährderansprache erfahren, die die Polizei mit ihm vorgenommen habe. Diese Behauptungen des Klägers seien eine nicht hinnehmbare, unerträgliche Verletzung von Treuepflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die für sich alleine geeignet sei, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Er habe dann sofort beschlossen, die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung auszusprechen. Als weitere Kündigungsgründe stehe weiterhin die Arbeitsverweigerung am 05.12.2022 und 06.12.2022 im Raum, wie auch der Diebstahl von Waren und Geld sowie die schweren Verstöße gegen das Waffengesetz. Er habe den Kläger an den beiden Tagen nicht aufgefordert zu Hause bleiben. Auch die später vom Kläger vorgetragene Behauptung, er sei an jenen Tagen arbeitsunfähig gewesen, müsse bestritten werden. Der Kläger habe mit Langmessern Wurfübungen im Geschäftslokal betrieben. Sowohl in dem Gespräch am 08.12.2022, wie auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht vom 22.03.2023 habe der Kläger eingeräumt, aus dem Geschäftslokal Waren mitgenommen und Verkaufsvorgänge nicht gebucht zu haben. Das Arbeitsgericht habe es entgegen den Anforderungen des Verfahrensrechts unterlassen, die Videoaufzeichnungen zu sichten. Die vom Kläger vorgebrachte Rechtfertigung sei unzutreffend: Es sei mitnichten erlaubt gewesen, im Betrieb mit Messern zu werfen.
Auch die mit der Klage geltend gemachten Entgeltforderungen seien unberechtigt. Der Kläger habe alles bezahlt bekommen, was ihm zustehe. Das geforderte Arbeitszeugnis habe er dem Kläger erteilt. Bei dem Arbeitszeugnis handele es sich um eine Holschuld. Der Kläger habe das Zeugnis bisher nicht abgeholt. Der Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Zeugnisses sei von Anfang an erfüllt gewesen, weshalb die Klage in dem Punkt unbegründet sei.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichtes Köln vom 22.03.2023 – 2 Ca 7109/22 – mit Ausnahme der Tenorierung zu Ziff. 2. des Urteiles (1.646,00 EUR brutto zuzüglich Zinsen), teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Weiter trägt er vor, das Arbeitsgericht habe die fristlose Kündigung zurecht als unwirksam erkannt. Die Behauptung, er habe sich eines Diebstahls bzw. einer Unterschlagung schuldig gemacht, sei ins Blaue hinein aufgestellt worden. Soweit der Beklagte nunmehr erstmalig die fristlose Kündigung auch damit zu rechtfertigen versuche, dass er, der Kläger am Nachmittag des 08.12.2022 eine Strafanzeige gegen ihn bei der Polizei erstattet habe, geschehe dies aus mehreren Gründen ohne Erfolg: Die Kündigung sei bereits ausgesprochen gewesen, bevor er zur Polizei gegangen sei; eine Kündigung könne nach seiner Auffassung aber nicht mit einem Kündigungsgrund begründet werden, der erst nach Zugang der Kündigung stattgefunden habe (vgl. BAG v. 06.09.2007 – 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636). Außerdem sei seine Sachverhaltsdarstellung gegenüber der Polizei richtig gewesen: Er sei vom Beklagten über Stunden hinweg misshandelt worden. Die in der Strafanzeige angezeigten Straftaten hätten tatsächlich stattgefunden; von einer falschen Verdächtigung könne keine Rede sein. Er habe kein Geld aus der Kasse genommen. Die Behauptung, er habe das nicht gebongte Geld für sich behalten, sei unrichtig und im Übrigen pauschal und daher nicht weiter einlassungsfähig. Tatsächlich sei er vom Beklagten angewiesen gewesen, Waren nicht ordnungsgemäß zu bonieren und auf diese Weise für Überschüsse in der Kasse zu sorgen. Der Beklagte habe ihn angewiesen, ihn regelmäßig über die Höhe dieser Überschüsse zu informieren und die Überschüsse aus der Kasse in einen vom Beklagten benannten Ort zu legen; das sei meistens ein Karton im Lager gewesen. Die Informationen über die Höhe der Überschüsse habe er per Whatsapp an den Beklagten weitergegeben. Der Beklagte habe über den gleichen sozialen Dienst regelmäßig nachgefragt, in welchen Karton der Kläger die Überschüsse gelegt habe. So habe der Beklagte beispielsweise am 05.12.2022 an ihn über WhatsApp geschrieben und angefragt:
„Sind die Entnahmen der letzten Tage alle in dem Flyer Karton? Oder Woanders?“
Der Beklagte habe die Überschüsse nämlich mit „Entnahmen“ bezeichnet. Hiermit gemeint seien sämtliche Einnahmen aus Kassenvorgängen, bei denen er, der Kläger, die Waren nicht ordnungsgemäß boniert habe.
Er bleibe bei dem Vortrag, dass es üblich und gestattet gewesen sei, Waren für den Eigenbedarf zu konsumieren. Auch der Vorwurf, er habe gegen das Waffengesetz verstoßen und dabei Kollegen und Kunden gefährdet, sei nach wie vor unzutreffend und abwegig. Es handele sich hier um die Messer, die der Beklagte selbst zur Verfügung gestellt habe. Die Spielereien mit dem Messer habe der Beklagte geduldet. Bei diesen Spielereien habe er keine Gegenstände beschädigt oder zerstört. Von Selbstbeurlaubung könne keine Rede sein. Er sei an den beiden von dem Beklagten bezeichneten Tage arbeitsunfähig gewesen. Den Beklagten habe er damals über die Arbeitsunfähigkeit informiert. Dieser habe ihm mitgeteilt, er möge sich auskurieren. Dies ergebe sich aus den vorgelegten WhatsApp-Chatverläufen.
Der Beklagte habe ausweislich seiner vorgelegten Anlagen zwar im Nachgang zu dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln am 26.05.2023 Abrechnungen für die Monate Juli bis November 2022 erstellt (nämlich am 26.05.2023, wie anhand des Datums unten rechts auf den Anlagen erkennbar sei), die Nettolohnansprüche für den Monat November 2022 seien bislang aber nicht an den Kläger ausgezahlt worden, weder in Höhe des arbeitsvertraglich geschuldeten Lohns noch in Höhe des Differenzbetrages zum Mindestlohn.
Richtig habe das Arbeitsgericht den Beklagten auch dazu verurteilt, ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen. Dabei könne dahin gestellt bleiben, ob das Zeugnis eine Holschuld sei und ob der Beklagte das Zeugnis bereits geschrieben habe, als die Klage noch nicht erhoben gewesen sei. Jedenfalls sei das Schreiben, das der Beklagte als elektronisches Dokument zur Verfügung gestellt habe, nicht geeignet, den Zeugniserteilungsanspruch zu erfüllen. Das Zeugnis gehe nämlich nicht auf seine Leistung und auf sein Verhalten ein. Es fehlten Ausführungen zur Arbeitsbefähigung, Arbeitsbereitschaft, Arbeitsvermögen, Arbeitsweise oder das Arbeitspotenzial. Das Zeugnis enthalte keine zusammenfassende Beurteilung. Das Zeugnis entspreche nicht der Wahrheit, es helfe ihm nicht bei seinem beruflichen Fortkommen und sei nicht von Wohlwollen geprägt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.
I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung, der Klage auf Zahlung der Differenz zum Mindestlohn und der Klage auf Erteilung eines Zeugnisses zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Auf die Begründung kann Bezug genommen werden. Die Nachfolgenden Hinweise ergehen daher nur zur Ergänzung und soweit sie durch die Berufungsbegründung veranlasst sind.
1. Zurecht hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Kündigung vom 08.12.2022 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beendet hat. Gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB (§ 8 Abs. 3 des Arbeitsvertrages der Parteien nimmt ausdrücklich Bezug auf diese Vorschrift) betrug die ordentliche Kündigungsfrist einen Monat zum Monatsende. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis daher in jedem Fall am 31.01.2023 beendet.
Für eine außerordentliche Kündigung, die das Arbeitsverhältnis vor diesem Zeitpunkt hätte beenden können, fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Das gilt für das unstreitige Messerwerfen genauso wie für die streitigen Unterschlagungen und für die behaupteten falschen Verdächtigungen.
a. Wirft ein Beschäftigter in Abwesenheit von Vorgesetzten und Kunden zum Zeitvertreib mit einem Messer auf Verpackungsmaterial, so ist dies zwar ein Verhalten, das als ungewöhnlich, seltsam, skurril oder abwegig bezeichnet werden kann, es ist aber nicht geeignet ohne vorherige Abmahnung eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Das ergibt sich aus § 314 Abs. 2 BGB. Zweifellos stellt das Messerwerfen eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsverhältnis und damit einen wichtigen Grund „an sich“ dar. Denn fliegende Messer erzeugen immer eine Gefahr für Mensch und Material – eine Tatsache, die eigentlich keiner Erwähnung bedarf. Dass der Kläger aber davon ausgehen musste, dieser ungewöhnliche einsame Zeitvertreib würde den Bestand seines Arbeitsverhältnisses ernsthaft gefährden, ist nicht erkennbar. Damit fehlt es an einem Ausnahmetatbestand, der entgegen dem Grundsatz in § 314 Abs. 2 BGB die Überflüssigkeit einer Abmahnung rechtfertigen könnte. Eine Abmahnung wäre mithin gegenüber einer Beendigungserklärung als milderes Mittel in Betracht gekommen.
b. Für die Unterschlagung von geringwertigen Waren, hier dem Konsum von Liquids und der Hingabe von Proben an Kunden gilt das zuvor Gesagte entsprechend. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG v. 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 -; BAG v. 19.04.2007 – 2 AZR 180/06 -). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (BAG v. 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 -). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten. Danach war eine Abmahnung hier, soweit der Verbrauch von Waren durch den Kläger betroffen ist, nicht entbehrlich (vgl. insgesamt zum Vorgesagten den Fall „Emmely“ BAG v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 -).
c. Die (heimliche) Unterschlagung von Geld ist grundsätzlich ohne weiteres geeignet eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Vortrag des Beklagten hierzu ist zwar in der Berufungsinstanz noch umfangreicher geworden. Es fehlt aber nach wie vor die Darlegung der konkreten Tatsachen, aus denen geschlossen werden könnte, dass der Kläger das Geld aus den nicht gebongten Geschäften tatsächlich an sich genommen hätte. Es fehlt sogar die konkrete Berechnung einer Kassendifferenz. Die Behauptungen des Klägers zu den „Entnahmen“ zwecks Steuerhinterziehung sind nach Lektüre der vorgelegten Whatsapp-Mitteilungen plausibel. Es hätte hier eines dichten Vortrages des Beklagten zumindest zu Indizien bedurft, die geeignet gewesen wären, die Darlegungen des Klägers zu erschüttern. Als Einstig hierzu hätte er den Inhalt der von ihm versandten Whatsapp-Nachrichten erläutern müssen.
d. Die vom Beklagten in der Berufungsinstanz als Kündigungsgrund eingeführte Darlegung, der Kläger habe bei der Polizei die Unwahrheit gesagt, kann zu Gunsten des Beklagten als richtig unterstellt werden. Als Kündigungsgrund für die Kündigung vom 08.12.2022 kommt diese Tatsache jedenfalls nicht in Betracht, weil die Kündigung schon ausgesprochen worden war, bevor der Kläger sich mit seinem Vater auf den Weg zur Polizei gemacht hat. Dies ergibt sich aus § 138 Abs. 3 ZPO, denn die Darlegung des Klägers, der Weg zur Polizei sei erst nach Zugang der Kündigung angetreten worden, ist vom Beklagten nicht ausdrücklich bestritten worden. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen (BAG v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 -). Die behauptete Verleumdung kann als Kündigungsgrund somit auch nicht „nachgeschoben“ werden. Ein solches Nachschieben kommt nur dann in Betracht, wenn der Kündigungsgrund zwar erst nach Zugang der Kündigung der kündigenden Partei bekannt geworden ist, aber bereits vor Zugang der Kündigung existierte. Das ist hier wie gezeigt anders.
2. Soweit das Arbeitsgericht den Beklagten mit dem Tenor zu 2 verurteilt hat, an den Kläger 1.646,00 EUR brutto zu zahlen, hat der Beklagte von seiner Anfechtung des Urteils diese Nummer des Tenors ausdrücklich ausgenommen. Es bleibt deshalb bei der Verurteilung zur Zahlung dieses Betrages.
3. Zurecht hat das Arbeitsgericht mit dem Tenor zu 3 erkannt, dass der Beklagte an den Kläger die Differenzen zwischen den tatsächlich geleisteten Löhnen und dem jeweils geltenden Mindestlohn zu zahlen hat. Der Beklagte hat hierzu nichts Substantielles vorgetragen.
4. Zurecht hat das Arbeitsgericht auch erkannt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen. Für den Erfüllungseinwand trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Der Beklagte hat die Erfüllung des Zeugnisanspruchs aus § 109 GewO aber nicht dargelegt, denn das von ihm erteilte Zeugnis (Bl. 60 d.A.) ist kein Zeugnis im Sinne der Vorschrift. Es fehlt bereits an einer Verhaltensbeurteilung. Im Übrigen wird auch hier Bezug genommen auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts.
III. Nach allem bleibt es somit bei der erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.