Häufige Kurzerkrankungen: Wann ist eine Kündigung gerechtfertigt?
Das Arbeitsgericht Suhl hat eine personenbedingte Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen für unwirksam erklärt. Dies begründet sich vor allem durch eine unzureichende Anhörung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hatte versäumt, dem Betriebsrat detaillierte Informationen über die Auswirkungen der Kurzerkrankungen auf den Betriebsablauf und die wirtschaftlichen Belastungen zu liefern.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Unwirksamkeit der Kündigung: Das Gericht erklärt die Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen für unwirksam.
- Mangelhafte Betriebsratsanhörung: Eine unzureichende Information des Betriebsrats über die Kündigungsgründe wurde als Hauptgrund für die Unwirksamkeit der Kündigung identifiziert.
- Notwendigkeit detaillierter Informationen: Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat ausführliche Informationen über die Auswirkungen der Krankheiten und die dadurch entstandenen betrieblichen Belastungen geben.
- Beschäftigungsanspruch der Klägerin: Die Klägerin hat ein Recht auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
- Überprüfung der sozialen Rechtfertigung: Das Gericht setzt sich mit der Frage auseinander, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist.
- Bedeutung der Kündigungsgründe: Die Kündigungsgründe müssen so detailliert sein, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen eine Beurteilung vornehmen kann.
- Darlegungslast des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber ist in der Pflicht, die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nachzuweisen.
- Folgen der fehlerhaften Anhörung: Eine fehlerhafte Anhörung kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
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Übersicht:
Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund unzureichender Betriebsratsanhörung
Das Arbeitsgericht Suhl hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass die ordentliche personenbedingte Kündigung einer Hauswirtschaftskraft aufgrund häufiger Kurzerkrankungen unwirksam ist. Der Fall dreht sich um eine seit 2008 beschäftigte Klägerin, die aufgrund verschiedener Umstände zwischen 2018 und 2021 mehrfach arbeitsunfähig war. Die Beklagte, ihr Arbeitgeber, hatte daraufhin ein BEM-Verfahren eingeleitet, das die Klägerin jedoch ablehnte. Daraufhin hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung an, welche schließlich auch ausgesprochen wurde.
Die Rolle des Betriebsrats in der Kündigungsentscheidung
Im Kern des Urteils steht die unzureichende Anhörung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist es erforderlich, dass der Betriebsrat über die Kündigungsgründe umfassend informiert wird. Im vorliegenden Fall wurden dem Betriebsrat zwar die Ausfallzeiten der Klägerin mitgeteilt, jedoch fehlten detaillierte Informationen über die betrieblichen Auswirkungen und wirtschaftlichen Belastungen, die aus den Fehlzeiten resultierten. Dies ist entscheidend, da eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie die betrieblichen Interessen unzumutbar beeinträchtigt.
Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin
Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens hat. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem allgemeinen Beschäftigungsanspruch, der einem Arbeitnehmer zusteht, wenn eine Kündigung unwirksam ist und keine überwiegenden Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Im vorliegenden Fall wurden keine solchen Interessen vorgebracht.
Bedeutung des Urteils für die Arbeitsrechtspraxis
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Suhl unterstreicht die Wichtigkeit einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats bei Kündigungen. Sie zeigt auf, dass die bloße Mitteilung von Fehlzeiten nicht ausreicht, sondern dass eine detaillierte Darlegung der Auswirkungen der Fehlzeiten auf den Betrieb erforderlich ist. Dieses Urteil betont die Schutzfunktion des Betriebsrats und die Notwendigkeit für Arbeitgeber, in Kündigungsfällen sorgfältig vorzugehen.
Insgesamt verdeutlicht das Urteil die Komplexität arbeitsrechtlicher Verfahren und die Bedeutung einer fundierten rechtlichen Beratung für beide Parteien. Es betont die Rolle des Betriebsrats als wichtigen Akteur im Kündigungsprozess und setzt Maßstäbe für die zukünftige Handhabung ähnlicher Fälle.
✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt
In welchen Fällen können häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers eine Kündigung rechtfertigen?
Häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers können unter bestimmten Umständen eine Kündigung rechtfertigen. Hierbei spielen die Art der Erkrankungen, deren Dauer und Häufigkeit eine Rolle. Wenn diese Faktoren darauf hindeuten, dass das Arbeitsverhältnis auch zukünftig durch häufige Kurzerkrankungen belastet wird, kann dies ein Kündigungsgrund sein. Als Richtwert kann gelten, wenn der Arbeitnehmer in den letzten Jahren jeweils mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war.
Eine Kündigung kommt nur dann in Betracht, wenn über einen längeren Zeitraum häufige Kurzerkrankungen aufgetreten sind, die zu betrieblichen Beeinträchtigungen führten. Darüber hinaus müssen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die eine ernste Besorgnis weiterer Kurzerkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen.
Für eine krankheitsbedingte Kündigung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: eine negative Gesundheitsprognose, eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und eine Interessenabwägung. Bei der Interessenabwägung werden das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand gegenübergestellt. Die Kündigung muss das mildeste Mittel („ultima ratio“) darstellen.
Es ist zu beachten, dass eine Kündigung wegen Krankheit in der Regel ordentlich personenbedingt erfolgen muss, d.h. die im Vorfeld vereinbarte Kündigungsfrist muss eingehalten werden. Eine fristlose Kündigung ist jedoch möglich, wenn der betroffene Mitarbeiter häufiger vorgibt, krank zu sein, ohne tatsächlich an einer Erkrankung zu leiden und der Arbeitgeber davon Kenntnis erhält.
Es gibt keinen generellen Kündigungsschutz bei Krankheit und auch ein ärztliches Attest kann die Kündigung nicht verhindern. Allerdings genießen Arbeitnehmer in Deutschland einen gewissen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Verstößt eine Kündigung gegen das KSchG, ist sie unwirksam.
Das vorliegende Urteil
ArbG Suhl – Az.: 2 Ca 157/22 – Urteil vom 21.06.2022
1. Das Versäumnisurteil vom 24.03.2022 wird aufrechterhalten.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Hauswirtschaftskraft sowie als Unterstützerin der pädagogischen Fachkräfte weiter zu beschäftigen.
3. Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen.
Die am … 1973 geborene, ledige Klägerin ist Mutter eines unterhaltsberechtigten Kindes. Auf Basis des Arbeitsvertrags vom 17.09.2008 ist sie seit dem 01.09.2008 im durch die Beklagte betriebenen A) in S… als Hauswirtschaftskraft tätig.
Seit dem 18.08.2014 arbeitet die Klägerin in Vollzeitbeschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.
Seit dem 18.02.2020 erhält die Klägerin eine Funktionszulage in Höhe von 75 € brutto monatlich für die Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte. Das monatliche Bruttogehalt der Klägerin beträgt 2.595,48 € zuzüglich einer jährlichen Sonderzahlung in Höhe von 55 Prozent eines Bruttomonatsgehalts.
Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist in der Einrichtung der Beklagten gewählt.
In den Jahren 2018 bis 2021 war die Klägerin infolge verschiedener Umstände in einem von den Parteien unterschiedlich dargestellten Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Für die vorgetragenen Arbeitsunfähigkeitszeiten wird im Einzelnen auf den Schriftsatz der Beklagten vom 17.05.2022 (Blatt 25 ff. der Akte) und den Schriftsatz der Klägerin vom 10.06.2022 (Blatt 43 ff. der Akte) Bezug genommen.
Durch die Beklagte wurde Ende des Jahres 2021 ein BEM-Verfahren eingeleitet und der Klägerin ein Informationsgespräch durch die BEM-Beauftragte bei der Beklagten angeboten. Mit Schreiben vom 02.01.2022 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, mit einem Informationsgespräch nicht einverstanden zu sein und in der Folge mit Schreiben vom 21.01.2022 auch die Durchführung eines BEM abzulehnen.
Mit Schreiben vom 27.01.2022 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer von ihr beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Für den genauen Inhalt wird im Einzelnen Bezug genommen auf das Schreiben „Betriebsratsanhörung zur Kündigung gemäß § 102 BetrVG“ (Blatt 32 f. der Akte).
Der Betriebsrat stimmte der geplanten Kündigung mit Schreiben an die Geschäftsführung vom 31.01.2022 zu.
Mit Schreiben vom 01.02.2022, der Klägerin zugegangen am 04.02.2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.07.2022, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.02.2022 Kündigungsschutzklage erhoben. Das Gericht hat mit Verfügung vom 23.02.2022 Termin zur Güteverhandlung auf den 24.03.2022 bestimmt und die Beklagte zu diesem unter Zustellung der Klageschrift geladen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurden Ladung und Klageschrift der Beklagten am 25.02.2022 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt.
Zur Güteverhandlung ist die Beklagte nicht erschienen, sodass auf Antrag der Klägerin das Gericht am 24.03.2022 Versäumnisurteil (Blatt 12 der Akte), der Beklagten zugestellt am 06.04.2022, erlassen hat. Hierauf hat die Beklagte mit Schreiben vom 07.04.2022, eingegangen bei Gericht am 11.04.2022, Einspruch erhoben.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
1. das Versäumnisurteil vom 24.03.2022 aufrechtzuerhalten.
2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziff. 1 die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Hauswirtschaftskraft sowie als Unterstützerin der pädagogischen Fachkräfte weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
1. das Versäumnisurteil des Gerichts vom 24.03.2022 aufzuheben und
2. die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, durch die häufigen Kurzerkrankungen der Klägerin sei es zu Entgeltfortzahlungskosten für das Jahr 2018 in Höhe von 4.273,84 €, für das Jahr 2019 in Höhe von 7.127,69 €, für das Jahr 2020 in Höhe von 12.847,20 € sowie für das Jahr 2021 in Höhe von 5.282,30 € gekommen.
Sie vertritt die Auffassung, dass in Anbetracht der Arbeitsunfähigkeitszeiten und der behaupteten Entgeltfortzahlungskosten die Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen vorliegen.
Die Klägerin ist der Auffassung, eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats habe durch die Beklagte bereits nicht stattgefunden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Der Einspruch der Beklagten vom 11.04.2022 gegen das Versäumnisurteil vom 24.03.2022 ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Er ist statthaft (§ 338 ZPO) und formgerecht (§§ 59 S. 2 ArbGG, 340 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) eingelegt worden. Auch die einwöchige Frist des § 59 S. 1 ArbGG ist eingehalten, die gemäß § 339 Abs. 1, 2. HS ZPO mit der Zustellung an die Beklagte am 06.04.2022 begann.
Durch den nach allem zulässigen Einspruch ist der Prozess in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor Eintritt der Säumnis befand (§ 342 ZPO).
II.
Die Klage ist zulässig. Das Arbeitsgericht Suhl ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits gemäß §§ 48 Abs. 1 a), 2 Abs. 1 Nr. 3 b), 46 Abs. 2 ArbGG, 29 ZPO zuständig, da die Klägerin ihre regelmäßige Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten in … S… und damit im Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts Suhl erbringt.
III.
Die Klage ist begründet, da die ausgesprochene Kündigung der Beklagten unwirksam und die Klägerin in der Folge bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigen ist.
1.
Die Kündigung vom 01.02.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, da diese gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist, was über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch bei einer – wie hier – fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats der Fall ist (vgl. BAG, Urteil vom 16.09.1993 – 2 AZR 267/93).
a)
Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung deren Gründe mitzuteilen. Die Mitteilung genügt nur dann dem Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens, wenn sich der Betriebsrat über die Person des Arbeitnehmers und über die Kündigungsgründe für seine Stellungnahme ein eigenes Bild machen kann. Daher hat der Arbeitgeber insbesondere die Personalien, die Kündigungsabsicht und die Kündigungsart (ordentl. Kündigung, außerordentl. fristlose Kündigung bzw. mit Auslauffrist) mitzuteilen (vgl. BAG 29.8.1991, NZA 1992, 416; 16.9.1993, NZA 1994, 311). Mitzuteilen ist bei der ordentlichen Kündigung auch die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit, damit der Betriebsrat die Widerspruchsgründe gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 und 5 prüfen kann (ErfK/Kania, 22. Aufl. 2022, BetrVG § 102 Rn. 5).
Bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen kommt es der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach darauf an, ob zum Zeitpunkt der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen. Dabei ist zur Kündigung nur ein Sachverhalt geeignet, der die betrieblichen Interessen unzumutbar beeinträchtigt (vgl. BAGE 33, 1, 12). Dabei ist die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bereits auch Teil des Kündigungsgrundes. Trägt der Arbeitgeber dem Betriebsrat nicht die Tatsachen vor, aus denen sich eine betriebliche Beeinträchtigung und/oder wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers aufgrund der Fehltage und der zu erwartenden Ausfallzeiten ergeben sollen, unterlässt er es, dem Betriebsrat einen Teil des Kündigungsgrundes mitzuteilen (BAG, Urteil vom 24.11.1983 – 2 AZR 347/82).
Zuletzt müssen diese Kündigungsgründe vom Arbeitgeber so detailliert dargelegt werden, dass sich der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über ihre Stichhaltigkeit machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben oder Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen (vgl. BAG, Urteil vom 21. 6. 2001 – 2 AZR 30/00).
b)
Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. BAG, Urt. vom 19.08.1975 – 1 AZR 613/74) hat nicht vorgetragen, dass vor Ausspruch der Kündigung eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats im Sinne von § 102 BetrVG stattgefunden hat.
Aus dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten ergibt sich, dass eine Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben der Beklagten vom 27.01.2022 stattfand (Blatt 32 f. der Akte). Zwar teilte die Beklagte dem Betriebsrat von ihr behauptete Ausfallzeiten der Klägerin für die Kalenderjahre 2018 bis 2021 mit. Jedoch wurde nicht vorgetragen, dass dem Betriebsrat entweder Betriebsablaufstörungen, die nicht durch zumutbare Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden konnten oder aber wirtschaftliche Belastungen der Beklagten – wie durch die Beklagte im Prozess später als Kündigungsgrund vorgetragen (vgl. Blatt 26 f. der Akte) – mitgeteilt wurden. Angesichts der dem Betriebsrat im Anhörungsschreiben mitgeteilten Fehlzeiten der Klägerin in Form von Tagen pro Kalenderjahr war für diesen auch nicht erkennbar, wie die Zeiten verteilt waren. Aus der allgemeinen Formulierung, es handele sich um wiederholte Kurzerkrankungen, ergibt sich keine für den Betriebsrat ausreichende Information hinsichtlich der wirtschaftlichen Belastungen für die Beklagte – zumindest nicht ohne eigene Nachforschungen. Insofern hätte es einer genaueren Darstellung der einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeiträume oder bereits der tatsächlich angefallenen Entgeltfortzahlungskosten im Rahmen der Anhörung bedurft.
c)
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Darlegungslast, hatte die Beklagte gemäß § 340 Abs. 3 ZPO innerhalb der Einspruchsfrist zur ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung vorzutragen, wobei durch das Gericht bereits eine Fristverlängerung der Einspruchsbegründungsfrist bis zum 17.05.2022 gewährt wurde. Weiterer Schriftsatznachlass für die Beklagte war insofern nicht veranlasst.
d)
Im Übrigen kann somit dahinstehen, ob die Anhörung auch deshalb unwirksam ist, weil es sich bei den dem Betriebsrat mitgeteilten Fehlzeiten möglicherweise nicht um – wie nach dem klägerischen Vortrag naheliegend erscheint – die tatsächlich ausgefallenen Arbeitszeiten, welche für die Entgeltfortzahlung erheblich sind, handelt und ob darüber hinaus die Kündigung selbst sozial gerechtfertigt ist.
2.
Die Klägerin hat ebenfalls Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Über den Hilfsantrag war in Folge des Obsiegens der Klägerin mit dem Kündigungsschutzantrag in der Sache zu entscheiden.
Gemäß dem vom Bundesarbeitsgericht anerkannten allgemeinen Beschäftigungsanspruch hat auch der außerhalb des Geltungsbereichs des § 102 Abs. 5 BetrVG gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist bzw. bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen.
Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein solches überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (vgl. BAG, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84). Derartige zusätzliche Umstände sind hier indes nicht vorgetragen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 344 ZPO.