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Unterschiedliche Kündigungsfristen in Probezeit

Landesarbeitsgericht Thüringen – Az.: 1 Sa 300/21 – Urteil vom 06.12.2022

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.10.2021 – Az. 1 Ca 317/21 – abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 02.03.2021 nicht zum 16.03.2021, sondern erst zum 31.12.2021 endete.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Zusammenfassung

Die Parteien streiten über die für das Arbeitsverhältnis geltende Kündigungsfrist und insbesondere über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger war bei der Beklagten, die rund 2.500 Mitarbeiter beschäftigt, als Personalleiter mit einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 5.525 Euro brutto angestellt. Der Arbeitsvertrag, der am 7. September 2020 begann, war unbefristet, die Probezeit betrug sechs Monate. Der Vertrag sah vor, dass er von beiden Parteien mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres gekündigt werden konnte. Am 2. März 2021 sprach die Beklagte eine ordentliche Kündigung innerhalb der Probezeit aus, der der Kläger widersprach. Der Kläger argumentierte, dass das Arbeitsverhältnis nicht am 16. März 2021, sondern am 31. Dezember 2021 geendet habe und dass die sechsmonatige Kündigungsfrist zum Ende eines Kalenderhalbjahres auch für eine Kündigung während der Probezeit gelte. Das Gericht wies die Klage des Klägers mit der Begründung ab, die sechsmonatige Kündigungsfrist sei mit dem Zweck der vereinbarten Probezeit nicht vereinbar. Der Kläger legte Berufung ein, die der Beklagte jedoch als unbegründet zurückwies.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und wohlbegründet. Das Gericht stellte fest, dass die Berufung den rechtlichen Anforderungen entspricht und dass die Vorinstanz die Kündigungsklausel des Arbeitsvertrags nicht richtig ausgelegt hat. Das Gericht stellte fest, dass die Kündigungsfrist sechs Monate betrug und das Arbeitsverhältnis des Klägers am 31. Dezember 2021 endete. Das Gericht stellte außerdem fest, dass es sich bei der Kündigungsklausel und der Probezeit um allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Das Gericht stellte fest, dass der Inhalt von allgemeinen Geschäftsbedingungen nach einem objektiven, verallgemeinernden Maßstab zu bestimmen ist und dass sie einheitlich nach dem Verständnis vernünftiger und redlicher Vertragsparteien auszulegen sind. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Vertragstext bezüglich der Kündigungsklausel während der Probezeit mehrdeutig war, dass aber die Aufnahme der längeren Kündigungsfrist in den Vertragstext durch die Beklagte ein klarer Hinweis auf ihre Absicht war, die längere Kündigungsfrist auch auf die Probezeit anzuwenden. Schließlich wies das Gericht das Argument der Beklagten zurück, dass der Kläger als Rechtsexperte und leitender Angestellter die Bedeutung der Probezeit und der daraus resultierenden verkürzten Kündigungsfrist kannte.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts orientiert sich an den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 23.03.2017 (6 AZR 705/15). Die vertragliche Regelung zur Kündigungsfrist ist entweder wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 2 BGB oder aufgrund von Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB unwirksam. Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich nicht wesentlich von der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, sodass eine andere Bewertung nicht zwingend ist. Auch eine Rechtsfolgenkenntnis von der während einer Probezeit kraft Gesetzes anwendbaren Kündigungsfrist macht den Vertragstext nicht eindeutig. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Anlass für die Zulassung der Revision sah die erkennende Kammer nicht.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Kündigungsfrist und in diesem Zusammenhang über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin war bei der Beklagten, die ca. 2.500 Mitarbeiter beschäftigt, als Personalleiterin mit einem durchschnittlichen monatlichen Gehalt von 5.525,00 € brutto beschäftigt.

Der Arbeitsvertrag vom 01.09.2020 (Bl. 4 ff. der Akte) lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 1

Aufgaben und Pflichten

(1) Die Dienstnehmerin tritt zum 07.09.2020 als Personalleiterin in die o. g. Gesellschaft ein. In ihrer Funktion ist die Dienstnehmerin der Geschäftsführung  unmittelbar unterstellt.

(2) Die Probezeit beträgt 6 Monate.

§ 12

Vertragsdauer und Kündigung

(1) Der Vertrag beginnt am 07.09.2020 und wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

(2) Der Vertrag kann von beiden Seiten mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende eines  Kalenderhalbjahres gekündigt werden.

(3) Eine ordentliche Kündigung vor Vertragsbeginn ist für beide Parteien ausgeschlossen.

…“

Mit Schreiben vom 02.03.2021 (Bl. 10 der Akte), der Klägerin am selben Tag zugegangen, sprach die Beklagte innerhalb der Probezeit eine ordentliche Kündigung zum 16.03.2021 aus.

Mit ihrer am 23.03.2021 beim Arbeitsgericht Suhl eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt.

Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2017 (6 AZR 705/15) hat die Klägerin die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis habe nicht zum 16.03.2021, sondern erst zum 31.12.2021 sein Ende gefunden. Die in § 12 des Arbeitsvertrages vereinbarte sechsmonatige Kündigungsfrist zum Ende des Kalenderhalbjahres gelte auch für eine Kündigung innerhalb der Probezeit.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 02.03.2021 nicht zum 16.03.2021 endete, sondern bis zum 31.12.2021 fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass innerhalb der Probezeit die gesetzliche Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 3 BGB gelte. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderhalbjahres greife erst nach Ablauf der vereinbarten Probezeit.

Mit Urteil vom 19.10.2021 (Bl. 120 ff. der Akte) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, zwar handele es sich bei dem streitgegenständlichen Vertragswerk um allgemeine Geschäftsbedingungen, die nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn auszulegen seien. Nach dem Wortlaut sei die Regelung auch nicht eindeutig, da eine Kündigungsfrist für eine Kündigung innerhalb der Probezeit nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich bestimmt worden sei. Im Zweifel sei jedoch nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen das „Vernünftige“ gewollt. Die vertragliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Kalenderhalbjahr sei mit dem Sinn und Zweck der vereinbarten Probezeit unvereinbar. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der seinerzeitige Geschäftsführer der Beklagten A… die lange Kündigungsfrist selbst vorgeschlagen habe, um ein kurzfristiges Ausscheiden der Klägerin zu verhindern. Ein solcher Wille sei erkennbar nur auf den Zeitraum nach Ablauf der Probezeit gerichtet gewesen. Zuletzt sei auch zu berücksichtigen, dass bei der Auslegung von Vertragsbedingungen im Bereich der Führungskräfte auf die im Rechtsverkehr mit diesen Arbeitnehmertypen üblichen Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen sei. Nach den Verständnismöglichkeiten einer Personalleiterin sei ersichtlich gewesen, dass die verlängerte Kündigungsfrist erst nach Ablauf der Probezeit gelten sollte. Denn die Vereinbarung einer Probezeit wäre sonst überflüssig. Da die vorgenommene Auslegung den klaren Vorzug verdiene, greife auch die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB nicht. Auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2017 könne sich die Klägerin nicht berufen, da der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt in wesentlichen Punkten von dem vorliegenden abweiche. Auf den weiteren Inhalt des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 30.11.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 23.12.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 28.02.2022 mit einem am 28.02.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit ihrer Berufung wendet die Klägerin ein, das Arbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass aus Sicht des verständigen, nicht rechtskundigen durchschnittlichen Arbeitnehmers der von der Beklagten vorformulierte Arbeitsvertrag nur eine einzige Kündigungsfristenregelung in § 12 des Arbeitsvertrags enthalte. Die Beklagte habe nicht unmissverständlich deutlich gemacht, dass diese Frist erst nach Ende der in § 1 des Arbeitsvertrags festgelegten Probezeit gelten solle. Ein Zusatz „nach Ende der Probezeit …“ finde sich in § 12 Abs. 2 gerade nicht, so dass die dort geregelte Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres bereits ab Beginn des Arbeitsverhältnisses gelten müsse.

Die Klägerin führt ferner an, das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sei verletzt. Bereits die Anordnung der Klauseln zur Kündigungsfrist führe zur Intransparenz. Der fehlende Hinweis in § 1 des Vertrages auf die während der Probezeit nach Vorstellung der Beklagten geltende gesetzliche Kündigungsfrist und umgekehrt der fehlende Hinweis in § 12 des Vertrages auf die Bedeutung der dort festgelegten Kündigungsfrist für die vereinbarte Probezeit seien objektiv geeignet, einen verständigen Arbeitnehmer über die geltende Kündigungsfrist innerhalb der Probezeit irre zu führen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.10.2021, Az. 1 Ca 317/21, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 02.03.2021 nicht zum 16.03.2021, sondern erst zum 31.12.2021 endete.

Die Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Berufung der Klägerin bereits für unzulässig, da die Klägerin die Mindestanforderungen zur Begründung der Berufung nicht eingehalten habe. Die Klägerin sei in ihrer Berufungsbegründungsschrift nicht auf alle Punkte der erstinstanzlichen Entscheidung eingegangen. Die Berufungsbegründung erschöpfe sich letztlich in einem Bestreiten der vom Erstgericht vertretenen Rechtsauffassung.

Jedenfalls sei die Berufung unbegründet. Bei der Auslegung des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages habe das Erstgericht zu Recht auf den Verständnishorizont des typischen Adressaten und damit eines verständigen Arbeitnehmers abgestellt. Zu berücksichtigen sei, dass die mit dem Arbeitsvertrag verbundene Position hierarchisch unmittelbar der Geschäftsführung unterstellt gewesen sei. Für die Leiterin der Personalabteilung sei es selbstverständlich, zwischen den Kündigungsfristen für eine ordentliche Kündigung nach Ablauf der Probezeit und einer solchen während der Probezeit zu unterscheiden. Die vertieften arbeitsrechtlichen Kenntnisse einer Personalleiterin lägen auch weit über den Erkenntnissen eines in einem Leiharbeitsverhältnis beschäftigten Flugbegleiters, dessen Sachverhalt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2017 zugrunde lag.

Die Beklagte führt ferner an, zweifelsfrei sei der Klägerin bewusst gewesen, mit welcher Frist das Arbeitsverhältnis in der Probezeit habe gekündigt werden könne. Aus diesem Grund habe die Klägerin auch eingeräumt, die Kündigungsfrist mit dem Geschäftsführer der Beklagten bei Vertragsabschluss erörtert zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz am 06.12.2022 (Bl. 183 der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

1. Die Berufung wurde fristgerecht eingelegt sowie begründet, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügt die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin auch den inhaltlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung.

Eine Berufungsbegründung genügt nur dann den gesetzlichen Anforderungen der § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann zwar nicht verlangt werden, doch muss die Berufungsbegründung auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie dieses bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 15.03.2011 – 9 AZR 813/09 – Rn. 11; BAG 19.10.2010 – 6 AZR 118/10 – Rn. 7). Hat das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie seiner Auffassung nach die angegriffene Entscheidung nicht trägt; andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (BAG 14.12.2004 – 1 AZR 504/03 – Rn. 16).

Mit ihrer Berufungsbegründungsschrift hat die Klägerin angeführt, das Arbeitsgericht habe bei der vorgenommenen Auslegung des Arbeitsvertrages bestimmte Aspekte nicht ausreichend gewürdigt. Diese Rechtsauffassung hat sie mit konkreten Argumenten untersetzt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es dabei nicht erforderlich, auf sämtliche vom Erstgericht angesprochenen Punkte einzugehen. Vielmehr reicht es nach Auffassung der Kammer aus, wenn die Klägerin aus ihrer Sicht tragende Gründe vorbringt, warum die vom Erstgericht vorgenommene Auslegung unter Berücksichtigung der vorgebrachten Argumente anders hätte ausfallen müssen. Dies ist erfolgt.

II. Die Berufung der Klägerin ist auch begründet.

Unter Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts war festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Probezeitkündigung der Beklagten erst unter Einhaltung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Kalenderhalbjahr, vorliegend also zum 31.12.2021, sein Ende gefunden hat.

1. Zutreffend hat das Erstgericht festgestellt, dass es sich bei den im Arbeitsvertrag enthaltenen Regelungen zur Kündigungsfrist in § 12 und zur Vereinbarung einer Probezeit in § 1 um allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. v. §§ 305 ff. BGB handelt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Erstgerichts unter Ziffer II. 1. b) (Seite 5 des Urteils) wird Bezug genommen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung zweiter Instanz hat die Beklagtenseite zwar angeführt, keinesfalls sei das Vorliegen allgemeiner Geschäftsbedingungen unstreitig. Vielmehr habe man – insoweit unbestritten – bei dem Gespräch zwischen der Klägerin und dem seinerzeitigen Geschäftsführer A… aus Anlass des Vertragsschlusses über die verlängerte Kündigungsfrist in § 12 des Arbeitsvertrages gesprochen. Dieser Vortrag ändert jedoch nichts an der getroffenen Wertung. Denn wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, genügt für ein „Aushandeln“ und damit für eine die Regelungen des AGB-Rechts ausschließende Individualvereinbarung nicht, dass der von einer Seite gestellte Vertragsinhalt lediglich erläutert oder erörtert wird. Ein echtes „zur Disposition stellen“ wird auch von der Beklagtenseite nicht behauptet. Vielmehr wurde die verlängerte Kündigungsfrist unstreitig auf Betreiben der Beklagten in den Vertragstext aufgenommen.

2. Zutreffend gibt das Erstgericht ferner die Auslegungsgrundsätze für allgemeine Geschäftsbedingungen wieder.

Der Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (BAG 23.03.2017 – 6 AZR 705/15 – Rn. 14; BAG 17.11.2016 – 6 AZR 487/15 – Rn. 22). Anhaltspunkt für die vorzunehmende Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Wortlaut. Aber auch der mit der Klausel verfolgte Zwecke und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Vertragspartner erkennbar sind (vgl. BGH 22.07.2021 – IX ZR 26/20 – Rn. 17; BGH 01.10.2020 – IX ZR 247/19 – Rn. 19; BGH 25.07.2012 – IV ZR 201/10 – Rn. 21).

3. Gemessen hieran ist der Arbeitsvertrag in Bezug auf die während der Probezeit anwendbare Kündigungsfrist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht eindeutig.

a) Vom Wortlaut her sind beide Auslegungsergebnisse für die auf eine Probezeitkündigung anwendbare Frist denkbar.

Nach dem Wortlaut der Vertragsbedingungen bleibt das Verhältnis von § 1 Abs. 2 zu § 12 Abs. 2 des Arbeitsvertrages unklar. In § 12 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist ohne Einschränkung eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres geregelt. Ein Hinweis darauf, dass diese Frist erst nach Ablauf einer Probezeit zur Anwendung kommen soll, fehlt. In § 1 des Arbeitsvertrages, in dessen Absatz 2 die sechsmonatige Probezeit geregelt ist, ist ebenfalls kein Hinweis darauf enthalten, dass während der Probezeit die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 BGB, nicht jedoch die in § 12 Abs. 2 vereinbarte verlängerte Kündigungsfrist zur Anwendung kommen soll.

Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass es bei einer vereinbarten Probezeit keiner gesonderten Vereinbarung über die in § 622 Abs. 3 BGB gesetzlich geregelte Kündigungsfrist bedarf. Vielmehr greift die gesetzliche Kündigungsfrist für die Probezeitkündigung auch ohne besondere Vereinbarung (BAG 23.03.2017 – 6 AZR 705/15, Rn. 22; APS-Linck, 6. Auflage 2021, § 622 BGB Rn. 69). Jedoch ist gleichzeitig anerkannt, dass es rechtlich zulässig ist, auch für eine Probezeitkündigung längere Kündigungsfristen in Abkehr von § 622 Abs. 3 BGB zu vereinbaren (BAG 23.03.2017 – 6 AZR 705/15 – Rn. 22; ErfK Müller-Glöge, 22. Auflage 2022, § 622 BGB Rn. 15).

b) Die Stellung der Klauseln legt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nahe, dass die in § 12 Abs. 2 geregelte verlängerte Kündigungsfrist erst nach Ablauf der in § 1 vereinbarten Probezeit zur Anwendung kommen soll. Im Gegenteil ist aus Sicht eines verständigen Vertragspartners nicht unbedingt ersichtlich, dass die in § 1 unter der Überschrift „Aufgaben und Pflichten“ niedergelegte Probezeit unmittelbar Auswirkung auf die Frage anwendbarer Kündigungsfristen haben soll. Denn nur § 12 enthält nach seiner Überschrift Regelungen zu „Vertragsdauer und Kündigung“. Nur § 12 enthält eine ausdrückliche Vereinbarung zu einer im Arbeitsverhältnis anwendbaren Kündigungsfrist. Auch der in § 12 Abs. 3 enthaltene Ausschluss einer ordentlichen Kündigung vor Vertragsbeginn hätte es erwarten lassen, dass eine etwaige Sonderregelung für die weit vorne im Arbeitsvertrag geregelte Probezeit mit Blick auf die während der Probezeit anwendbare Kündigungsfrist unter der Überschrift „Vertragsdauer und Kündigung“ zur Sprache kommt.

c) Aus Sicht der Kammer wendet die Beklagte erfolglos ein, dass ohne Anwendung der verkürzten Kündigungsfristen die vereinbarte Probezeit leerlaufe, was dem mit einer Probezeit verfolgten Zweck zuwiderlaufe. Der Beklagten ist zuzugeben, dass dann, wenn die verlängerte Kündigungsfrist in § 12 des Arbeitsvertrages auch bei einer Probezeitkündigung zur Anwendung kommt, die vereinbarte Probezeit letztlich keinen eigenen Regelungsgegenstand mehr hat. Vielmehr wären die sechs Monate der Probezeit gleichlaufend mit der in § 1 KSchG geregelten Wartezeit. Mit dem Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 23.03.2017 – 6 AZR 705/15 – Rn. 26) ist die erkennende Kammer jedoch der Auffassung, dass dieses Leerlaufen der vereinbarten Probezeit die Folge der von der Beklagten selbst formulierten Vertragsklauseln ist. Zudem ist es nicht ungewöhnlich, in Vertragswerken auch deklaratorische, die gesetzliche Rechtsfolge lediglich wiederholende Regelungen vorzufinden.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die verlängerte Kündigungsfrist in § 12 Abs. 2 von der Beklagten gerade mit Blick auf die Stellung der Klägerin als Personalleiterin in den Vertragstext aufgenommen wurde. Der Beklagten war daran gelegen, die Klägerin für einen längeren Zeitraum an das Arbeitsverhältnis zu binden. Um eine kurzfristige Suche nach Ersatz auf einem angespannten Arbeitsmarkt zu vermeiden, erscheint es durchaus interessengerecht, auch während der Probezeit eine längere Kündigungsfrist zur Anwendung zu bringen.

Zudem ist davon auszugehen, dass in den von der Beklagten gestellten Arbeitsverträgen für Führungskräfte standardmäßig eine Probezeit vorgesehen ist. Ändert die Beklagte im Falle der Klägerin an anderer Stelle im Vertragstext eine Regelung, obliegt es ihr als Verwenderin, für die Stimmigkeit dieser Änderung auch im Verhältnis zum übrigen Inhalt des Vertragstextes Sorge zu tragen. Führen solche Änderungen dazu, dass die Klauseln nicht mehr zueinander „passen“ oder eine Klausel in ihrem Anwendungsbereich leerläuft, kann dies nicht zu Lasten des Vertragspartners gehen.

d) Aus Sicht der Kammer wird die Uneindeutigkeit der vertraglichen Regelungen auch dann nicht beseitigt, wenn man mit der Beklagten statt auf den durchschnittlichen Vertragspartner auf einen verständigen Vertragspartner unter Berücksichtigung der besonderen Stellung der Klägerin abstellen wollte.

Die Beklagte führt an, die Vertragsgestaltung werde von ihr insbesondere gegenüber Führungskräften zum Einsatz gebracht. Und der Klägerin als rechtskundiger Führungskraft sei die Bedeutung einer Probezeit und einer daraus folgenden verkürzten Kündigungsfrist sehr wohl bewusst gewesen.

Nach Auffassung der Kammer kann eine solche Rechtsfolgenkenntnis der Klägerin unterstellt werden. Denn auch eine Kenntnis von der gesetzlichen Kündigungsfrist in § 622 Abs. 3 BGB ändert nichts daran, dass die vertragliche Regelung in einer Gesamtschau unklar bleibt. Denn wie aufgezeigt kann auch die gesetzlich verkürzte Kündigungsfrist während der Dauer einer Probezeit vertraglich verlängert werden. Und die Klägerin hat unbestritten vorgetragen, dass die verlängerte Kündigungsfrist von Seiten des mittlerweile verstorbenen Geschäftsführers A… an sie herangetragen worden war. Aus welchem Grund es für die Klägerin ersichtlich sein sollte, dass die mit der verlängerten Kündigungsfrist beabsichtigte längerfristige Bindung ihrer Person an die Beklagte erst nach Ablauf der Probezeit gelten sollte, ist nicht erkennbar. Eine unter Umständen längerfristige Nachfolgesuche auf Seiten der Beklagten droht auch bei einer Probezeitkündigung der Klägerin. Und die gesetzliche Kündigungsfrist während der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB: zwei Wochen) ist nicht so viel kürzer als die gesetzliche Kündigungsfrist nach Ablauf der Probezeit (§ 622 Abs. 1 BGB: vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende), dass die in § 12 Abs. 2 des Vertrages vereinbarte verlängerte Kündigungsfrist offensichtlich erst nach Ablauf der Probezeit zur Anwendung kommen kann. Vielmehr erscheinen auch aus Sicht eines verständigen Vertragspartners mit der juristischen Rechtsfolgenkenntnis der Klägerin beide Auslegungsmöglichkeiten denkbar.

4. Nach Auffassung der Kammer kommt die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zum Tragen. Denn aus den genannten Gründen hält die Kammer die unklare Vertragsgestaltung für nicht auflösbar. Beide aufgezeigten Auslegungsergebnisse erscheinen vertretbar.

a) § 305c Abs. 2 BGB regelt ausdrücklich, dass bestehende Unklarheiten bei der Vertragsauslegung im Zweifel zu Lasten des Verwenders gehen. Die Anwendung der Unklarheitenregel kommt in Betracht, wenn nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt (BAG 17.11.2016 – 6 AZR 487/15 – Rn. 26; BAG 08.12.2015 – 3 AZR 433/14 – Rn. 23). Sofern zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, kommt die sich zu Lasten des Klauselverwenders auswirkende Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Hierbei bleiben allerdings Verständnismöglichkeiten unberücksichtigt, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernsthaft in Betracht kommen (BGH 22.07.2021 – IX ZR 26/20 – Rn. 17; BGH 01.10.2020 – IX ZR 247/19 – Rn. 19).

b) Wie bereits ausgeführt, hält die Kammer die von beiden Seiten vorgebrachten Argumente für nachvollziehbar und beide Auslegungsmöglichkeiten für denkbar. Kann keinem Auslegungsergebnis der klare Vorrang eingeräumt werden, muss sich die Beklagte als Verwenderin die unklare Vertragsgestaltung entgegenhalten lassen. Dies hat zur Folge, dass die verlängerte Kündigungsfrist in § 12 Abs. 2 auch für ihre Probezeitkündigung zur Anwendung kommt.

c) Die Lösung von Fallgestaltungen wie dem vorliegenden über die Unklarheitenregelung wird auch von Teilen der Literatur ohne weitere Begründung bevorzugt. So führt etwa Spilker (KR-Spilker, 13. Auflage 2022, § 622 Rn. 179) aus, dass während der Probezeit in der Regel zwar verkürzte Kündigungsfristen zur Anwendung kommen, aber bei vorformulierten Vertragsinhalten Unklarheiten zu Lasten des Verwenders gehen.

5. Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die vertragliche Regelung als intransparent i. S. d. § 307 Abs. 2 BGB ansieht (vgl. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 705/15 – Rn. 29 ff.).

6. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung nicht so wesentlich von dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.03.2017 zugrunde liegenden Sachverhalt, dass eine andere Bewertung zwingend wäre. Zwar ist der Verständnishorizont eines Flugbegleiters nicht vergleichbar mit dem einer juristisch vorgebildeten Personalleiterin. Wie oben ausgeführt macht jedoch auch eine Rechtsfolgenkenntnis von der während einer Probezeit kraft Gesetzes anwendbaren Kündigungsfrist den Vertragstext nicht eindeutig. Denn auch für die Dauer einer Probezeit können verlängerte Kündigungsfristen zulässigerweise vereinbart werden und aus den oben genannten Gründen interessengerecht sein.

Zuletzt ist der vom Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 23.03.2017 formulierte Leitsatz ist in seiner Deutlichkeit kaum zu übertreffen: „Wird in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag in einer Klausel eine Probezeit und in einer anderen Klausel eine Kündigungsfrist festgelegt, ohne dass unmissverständlich deutlich wird, dass diese ausdrücklich genannte Frist erst nach dem Ende der Probezeit gelten soll, ist dies von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an nur mit dieser Kündigungsfrist, nicht aber mit der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB kündigen kann.“

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

IV. Anlass für die Zulassung der Revision sah die erkennende Kammer nicht.

Die getroffene Entscheidung orientiert sich an den vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 23.03.2017 (6 AZR 705/15) aufgestellten Grundsätzen. Anlass, von diesen Grundsätzen abzuweichen, sah die Kammer nicht. Dass die erkennende Kammer den Streitfall über die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB löst und nicht – wie das Bundesarbeitsgericht – über das Transparenzgebot des § 307 Abs. 2 BGB, hat keine Auswirkung auf das gefundene Ergebnis. Und wie ausgeführt würde auch der Maßstab eines verständigen Vertragspartners mit den Kenntnissen der Klägerin eine andere Bewertung der Auslegungsfrage nicht rechtfertigen.

 

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